Musiktheatralisches US-Triptychon
Nach Dead Man Walking vor drei Jahren befasst sich das Theater Koblenz erneut mit dem Werk Jake Heggies. Auch die - freilich komfortable - Ausweichspielstätte im Theaterzelt auf dem Plateau des Ehrenbreitsteins hindert das rührige Haus also nicht an der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Musiktheater der Vereinigten Staaten. Die drei Kompositionen Heggies, mit denen es nun aufwartet, erweisen sich als kammerspielartig: Into the Fire schrieb Heggie der ihm künstlerisch eng verbundenen Joyce DiDonato als halbstündigen Liederzyklus in die Kehle. Am Vortag ihrer vom Bruder Paul - dem prominenten Poeten - veranlassten Einweisung in die Psychiatrie sinniert die Bildhauerin Camille Claudel über sechs ihrer bedeutendsten Skulpturen, etwa die Büste ihres zeitweiligen Lebensgefährten Rodin, den „Walzer“ und die „Shakuntala“. Auf Basis der Texte von Heggies Stammlibrettisten Gene Scheer misst die Partitur das gesamte Spektrum vom langsamen Boston Waltz bis zu temporeicher Minimal Music aus. Regisseur und Hausherr Markus Dietze gesellt zur Gesangssolistin einen Tänzer und ein stummes alter ego der Bildhauerin, das einen Tonkopf modelliert. Spielleiter und das Terzett auf der Bühne setzen das erhebliche theatrale Potenzial der Lieder frei. Es geht durchaus bewegt zu. Die innere Anspannung, unter der die Bildhauerin steht, überträgt sich in ihre eigenen Aktionen wie auch die des gleichwohl wiederholt zum Bildwerk erstarrenden Tänzers. Hoch intensiv gestaltet Danielle Rohr die in Erwartung des Bevorstehenden an Camilles Seele und Nerven zerrende Unrast. Sejoon Park und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie lassen aus dem Stilmix der Partitur gleichermaßen die Vielfalt der thematisierten Kunstwerke wie die seelische Befindlichkeit der Bildhauerin aufscheinen.
Während Camille Claudel nichts vor dem Los der Einweisung in die Psychiatrie zu bewahren vermag, entrinnt in The Radio Hour die frustrierte nordamerikanische Mittelschichtsfrau Nora der Gefahr in Depressionen zu versinken dank des aus dem Radioapparat sich in den Äther verbreitenden Optimismus. Der wirkt bisweilen jazzig und nicht allein in Musicalnähe, vielmehr gar dicht am Werbejingle dermaßen ansteckend, dass Nora nun aus einem Dutzend sich dazu anbietender Noten ihr eigenes musikalisches Gute-Laune-Thema ersinnt. Nichts Dodekaphonisches, wie die Zwölfzahl nahelegt, vielmehr Easy-Listening. Für Heggies muntere Partitur liefert Gene Scheer eine zwischen Alltagsjargon, Radiomoderation und Poesie changierende Steilvorlage. Keine Frage, hier hat - auch die vierzigminütige Spieldauer betreffend - Bernsteins Trouble in Tahiti Pate gestanden. Nun aber ist eine echte Choroper in des Wortes eigentlichster Bedeutung daraus geworden. Nora ist eine stumme Rolle. Musikalischer Handlungsträger ist das Kollektiv, dem Chorsolistinnen und Chorsolisten zusätzliche Glanzlichter aufstecken. Regisseur Dietze platziert sie zunächst als Beobachtende auf zwei Bänken. Hingegen agiert die von der Arbeit heimgekehrte Nora in ihrer Einbauküche. Kaum aber hat sie das Radio eingeschaltet, wogt ihr der Chor ins Heim, um sie mit Zuversichtlichem und unwiderstehlichem Charme melodisch zu umgarnen. Dass Dietze jede Choristin und jeden Choristen seines Hauses kennt, geht aus den zahllosen Details hervor, mit denen er sie bedenkt. Vokal und spielerisch agiert der Chor des Koblenzer Theaters famos. Ein Pfund, mit dem das Haus immer wieder zu wuchern versteht. Vom Pult aus schlägt Chordirektor Lorenz Höß optimistische Funken aus der flotten Partitur. Ohne die stumm als Nora agierende Jana Gwosdek aber müsste das alles dennoch verpuffen.
[Selbstversicherung im Glauben]
„The Deepest Desire“ beschließt den Abend. In – so der Untertitel – „Four Meditations on Love“ sinniert Sister Helen Prejean, auf deren Buch „Dead Man Walking“ Heggies gleichnamige Oper beruht, über ihren Glauben. Die katholische Ordensschwester versichert sich in vier Gedichten gleichermaßen dessen, was ihre Eigeninitiative fordert und was sie getrost Gott überlassen darf. Große Lyrik ist das nicht und will es vermutlich auch gar nicht sein. Heggies Musik kommt über gefälliges, aber wenig verbindliches melodisches Lineament kaum hinaus. Spuren hinterlässt das nicht einmal zwanzigminütige Werk dennoch. Danielle Rohr trifft die gebethafte Atmosphäre von Gedichten und Musik. Sejoon Park breitet mit dem Orchester den meditativen Teppich dafür aus. Freilich steuern Choreograf Andreas Heise und das Ballett des Hauses wesentlich zur obwaltenden Kontemplation bei. Dies vor allem auch, weil Danielle Rohr als Teil der Choreografie mit Tänzerinnen und Tänzern interagiert.
Im Juni setzt das Theater Koblenz seine Beschäftigung mit dem US-Musiktheater fort. Dann wird Marc Neikrugs Through Roses auf dem Programm stehen.