Das geheimnisvolle Licht
Der Mann macht, vor allem in der Oper, immer wieder den gleichen Fehler: Er lässt die Frau, die ihn liebt, im Stich, weil ferne Verführungen ihn locken oder gesellschaftliche Zwänge ihn forttreiben. Und wenn er dann reumütig zurückkehrt, zu Verdis Violetta etwa oder zu Wagners Elisabeth, mischt sich erbarmungslos der Tod ein. Wie auch in Franz Schrekers Oper Der ferne Klang, die das Theater Osnabrück jetzt so imposant wie originell präsentiert.
Der österreichische Komponist hat in seinem ersten, 1912 uraufgeführten Erfolgswerk mit eigenem Libretto allerdings die Akzente verschoben: Obwohl die Oper nach jener Vision benannt ist, die den Komponisten Fritz in die Ferne zieht, wird die verlassene Grete zur starken, allen Widernissen trotzenden Hauptfigur. Zunächst flieht sie als Opfer des egoistischen Mannes und der hemmungslosen Heimatgemeinschaft in die Wälder, entwickelt sich als Ausgenutzte in einem zweifelhaften Etablissement zum Star der Szene und übersteht schließlich noch den Niedergang des scheiternden Fritz. Es ist eine große Sopranpartie, die Schreker hier geschaffen hat, und Susann Vent-Wunderlich wird ihr in allen Facetten gerecht. So muss sie sich im ersten Akt bisweilen heroisch mit einem Heldentenor und dem bestens präparierten Chor messen, ehe sie auf Gretes Fluchtweg mit den feinen Tönen der träumerischen Naturverehrung berückt. Ihre Star-Auftritte in der Varieté-Welt des zweiten Akts gelingen ebenso überzeugend, nie hat man in der knapp dreistündigen Aufführung die Furcht, die Sängerin müsse forcieren. Kein Wunder, dass ihr der größte Anteil des einhelligen Schlussapplauses gebührt.
Osnabrücks entdeckungsfreudiger Generalmusikdirektor Andreas Hotz lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, aus dem Vollen zu schöpfen. Schrekers harmonisch nicht avancierte, aber in der Lust an orchestraler Dominanz weit fortgeschrittene Komposition ist vor allem bei den Bläsern des Osnabrücker Symphonieorchesters in besten Händen. Den beachtlichen Phonstärken, die es zumal mit den Chören entwickelt, begegnen stimmstarke Solisten, allen voran Heiko Börner als Komponist Fritz, der zwar die Feinheiten der Partie nicht übergeht, besonders aber die tristanesken Ausbrüche mit metallener Wucht durch die Orchesterwogen stößt. Hans Gröning und Dominic Barberi in verschiedenen Rollen stehen stellvertretend für ein gut harmonierendes Ensemble, das von Andreas Hotz souverän durch die anspruchsvolle Partitur geleitet wird.
Die Inszenierung trägt einen erheblichen Teil zum musikalischen Gelingen bei, ohne in simples Rampenstehen abzugleiten. Guido Petzolds abstrakter Bühnenraum setzt das Quadrat als Symbol für den von Fritz ersehnten fernen Klang: Es bildet als optische Klammer den leuchtenden Hintergrund. Ein raffiniertes Lichtdesign auf dem geheimnisvoll gemusterten Hintergrund schafft passende Atmosphären etwa für den Wald oder das Varieté, dessen Personal von Angela Schütt mit Charleston-Chic effektvoll ausgestattet ist. In der Personenführung konzentriert sich Jakob Peters-Messer auf schlüssig-sprechende Details. So nutzt Komponist Fritz rücksichtslos die Zeit, in der seine Grete von Liebe spricht, um noch rasch ein paar Details in seine Partitur zu kritzeln. Vorzüglich, wie die Premierengesellschaft des dritten Akts plötzlich optisch eingefroren wird. Auch für die sich wandelnde Konstellation der Hauptfiguren zueinander findet die Regie in diesem Akt prägnante Bilder. Ein vergleichsweise unnötiges, aber optisch reizvolles Symbol ist die wiederkehrende Gruppe dreier Greise.
Wenn Schreker in Ensembles die Gruppen gegeneinandersetzt oder Sing- und Sprechstimmen konfrontiert, gerät die Verständlichkeit manchmal an Grenzen, da sind auch die seitlichen „Übertitel“ überfordert. Doch insgesamt schlüsseln Regie und musikalische Gestaltung das Werk so überzeugend auf, wie man es sich für selten gespielte Stücke nur wünschen kann.