Festwiese mit buntem Vieh
Die Kuh wird in Erinnerung bleiben: ein riesiges quietschbuntes Vieh zum Aufblasen, das sich rücklings über die Festwiese wölbt. Was sich darunter tummelt, ist ein nicht minder buntes Gemisch von Volksmassen zwischen Oktoberfest-Gaudi und Revue-Tingeltangel. Lustig geht’s zu im Finale der Meistersinger von Nürnberg.
Regisseur Matthias Davids, dessen Musical-Expertise in der Vorbereitung zu dieser Bayreuther Neuproduktion oft genug hervorgehoben wurde, lässt sich tatsächlich nicht lumpen. Derart auf Unterhaltung gebürstet hat man Wagners komische Oper lange nicht erlebt. Da fällt zum Ende des ersten Aufzugs mit einem „puff“ das putzige Modell der Katharinenkirche um, da herrscht in den Kostümen eine vielgestaltige Zipfelmützigkeit, und der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser tritt als Möchtegern-Rockstar mit einer Laute auf, die an die legendäre „Flying V“-Gitarre erinnert.
So weit, so nett – zumal Bühnenbildner Andrew D. Edwards nicht mit Schauwerten geizt. Wenn er die steile Treppe, die zum kleinen Kirchlein führt, herumdreht, offenbart das Innere einen Raum mit den runden Lampen und harten Klappsesseln des Bayreuther Festspielhauses. Ganz niedlich auch die kurios übereinander getürmten Fachwerkhäuschen des zweiten Aufzugs. In dieser Nachtszene allerdings gibt es auch eine der plakativen Überzeichnungen, zu denen das Regieteam greift. Zur Prügel-Orgie der aufgeschreckten Bürgerschaft wuseln auf der Bühne Menschenmengen in einer Choreografie herum, die weder witzig noch entlarvend, sondern nur Augenfutter ist. Zugleich heben sich die Häuschen auseinander: ein ziemlich banaler Effekt. Lediglich die gespenstische Beleuchtung, die auf Halloween anspielt, ist ein raffinierter Einfall, der auch zur Geistertraum-Vision Walther von Stolzings („überall Meister“) passt.
Das Bayreuther Premierenpublikum honorierte die offenkundige Absicht, nach den „Meistersinger“-Inszenierungen von Katharina Wagner und Barrie Kosky hier ganz auf unterhaltsames Handwerk zu setzen, schon vor dem dritten Aufzug mit üppigem Beifall. Gerade die bemüht muntere Behandlung des Chores, der übrigens noch nicht die ganze Stärke früherer Zeiten ausstrahlt, erinnerte manche Zuschauer an Musical-Ästhetik, andere hingegen an die altfränkische Derbheit des unvergessenen Wolfgang Wagner. Mit dem Unterschied, dass der Wagner-Enkel sich vor dem Aktionismus gehütet hat, zu dem Regisseur Matthias Davids manchmal neigt. So verliert die Musik einen Teil ihrer Wirkung, wenn Hans Sachs schon zum Vorspiel des dritten Aufzugs in seiner Schusterstube herumläuft. Schade, weil Davids sich zu Beginn der Oper ja gerade der Mode verweigert, das Vorspiel zu inszenieren. Viele Zuschauer werden ihm diese scheinbar altmodische Haltung danken. Dass bei der Premiere noch einzelne Zuschauer zur Musik ihre Plätze suchten, steht auf einem anderen Blatt.
So wie der Regisseur in der „Werkstatt Bayreuth“ an einigen Überzeichnungen arbeiten sollte, so könnte Dirigent Daniele Gatti noch an seiner Deutung feilen. Er setzte gezielt auf feine Binnenkontraste und Akzente, ließ das Festspielorchester auch an den entsprechenden Stellen schön „singen“, muss aber die Koordination zwischen Bühne und Graben verbessern. Unter den Bayreuther Rollendebütanten dieser Produktion machten Michael Nagy als souveräner Beckmesser und Christina Nilsson als wunderbar lyrisch tönende Eva den besten Eindruck. Die beiden Tenöre Michael Spyres als Walther und Matthias Stier als David waren in ihrem Stimmkontrast stimmig besetzt, Spyres singt ja in dieser Saison auch noch den Siegmund und präsentiert mal wieder einen heldischeren Stolzing als Klaus Florian Vogt. Sie werden sich vermutlich noch stärker in ihre Partien einleben – was auch dem Hans Sachs von Georg Zeppenfeld zu wünschen ist. Bayreuths Parade-Bass zeigte in der Premiere spürbaren Respekt vor der großen Aufgabe. Dass er den heiklen dritten Aufzug gut bewältigte, hatte er sich zuvor mit sparsamer Stimmgebung und knapper Phrasierung erkauft: gewiss klug, aber nicht ideal. Das Publikum herzte ihn aber mit üppigem Schlussapplaus.
Gewiss wäre es unfair, dem Regieteam bloße Unterhaltungsabsicht zu unterstellen – die fortwährenden Debatten zwischen Sachs und Beckmesser bis zum Schluss deuten es an. Dass Beckmesser allerdings zwischenzeitlich versucht, der bunten Kuh die Luft abzuschalten, ist einer dieser gut gemeinten, aber zu plakativen Effekte. Ganz ehrlich: Die Kuh braucht man nicht.