Die Banalität des Bösen
Die denkstarke deutsch-amerikanische Theoretikerin Hannah Arendt wird auf vielen Ebenen wiederentdeckt, auch auf der Bühne, jetzt in Berlin. Im Deutschen Theater benutzt die Regisseurin Theresa Thomasberger eine Graphic Novel des Amerikaners Ken Krimstein als Vorlage und kombiniert sie mit einem Interview aus dem Jahr 1964 von Günter Gaus mit Hannah Arendt. Dabei kommt man der Biographie und dem komplexen Denken dieser großen Philosophin näher - mit Unterhaltungswert.
Am Anfang sitzen fünf Schauspielerinnen vorne rechts an der Rampe in einem angedeuteten Fernsehstudio. Äußerlich sind sie Hannah Arendt nachempfunden mit zeitgenössischen Kostümen, Kurzhaarlockenfrisur, Hornbrillen und natürlich rauchen sie unentwegt Zigaretten. Statt Günter Gaus betritt ein Junge die Bühne, setzt sich in einen dicken Sessel und liest holprig die wohldurchdachten Fragen des legendären Journalisten aus einem dicken Buch vor. Dann übernimmt Abak Safaei-Rad als erste den Part der Hannah Arendt. Riesengroß und in schwarz-weiß wird sie auf einen Gaze-Vorhang projiziert während sie das Interview nachzitiert und in der Gestik dem Original nacheifert.
Danach öffnet sich die abstrakt gehaltene Drehbühne und Svenja Liesau spielt die kleine Hannah, die mit 12 Jahren schon alle Werke von Immanuel Kant gelesen hat. So geht es weiter. Weitere Stellen des Gaus-Interview werden mit jeweils anderen Darstellerinnen nachgestellt. Das wechselt sich ab mit Erzählungen über Hannah in Beziehung zu männlichen Figuren, die ebenfalls von dem Frauenensemble gespielt werden. Mindestens drei Leben kommen auf die Bühne: Das erste zeigt sie als Jüdin in Königsberg, Marburg, Berlin, Freiburg mit Studium, Promotion, einem Verhältnis zu Martin Heidegger. Das zweite Leben: Flucht nach Frankreich, Freundschaft mit Walter Benjamin, Sozialarbeit für jüdische Kinder, Heirat mit dem Militärhistoriker Heinrich Blücher. Das dritte Leben beginnt mit Deutschlands Krieg gegen Frankreich. Hannah wird als deutsche Jüdin interniert. Dazu fällt der Regisseurin Theresa Thomasberger ein einfaches, aber wirkungsvolles Bild ein. Ein Scheinwerferkranz senkt sich vom Bühnenhimmel über Hannah. Wir erfahren, wie knapp sie in die USA fliehen kann. Dort wird sie nach dem Krieg Amerikanerin und erlebt viel Anerkennung als Publizistin. Zwischendrin hören wir ein Zitat von Hannah, das den Titel der Graphic Novel und des Stückes auf andere Weise erklärt:
Ab jetzt lebe ich drei Leben gleichzeitig: Denken, Lieben, Handeln.
Wir erfahren einiges über ihre theoretischen Arbeiten. Die ecken an, etwa die Thesen zum totalitären Denken, das sie aus den Massenbewegungen des Faschismus und Stalinismus entwickelt. In den USA wirkt sie auch als Berichterstatterin, etwa für für „The New Yorker“ zum Eichmann-Prozess in Jerusalem. Die jüdische Gemeinde kritisiert sie dafür hart. Ihr gerne zitierter Satz „Die Banalität des Bösen“ würde den Massenmord-Planer Adolf Eichmann verharmlosen. Es sei für die Opfer verletzend, wenn sie die Nazi-Größe „komisch“ und einen „Hanswurst“ nenne, der nur an seinen persönlichen Aufstieg dachte und im Prozess nur leere Phrasen von sich gegeben habe. Hannah Arendt hält dagegen. Als Denkerin wolle sie es sich nicht zu einfach machen, sondern hinter die Nazi-Motive schauen und die Antriebe der Menschen, die sich diesen Massenbewegungen anschließen.
Die Aufführung folgt der Graphic Novel von Ken Krimstein. Sie ist, das sagt der amerikanische Karikaturist selbst bei seiner Buchpräsentation im Deutschen Theater, eine Vereinfachung des Lebens von Hannah Arendt. Die Bildergeschichte skizziert die Biographie, transportiert darin aber wichtige, erhellende, nachdenkenswerte Sätze. Das gilt besonders für Zitate aus ihrem Werk „Ursprünge totaler Herrschaft“. Die Analysen über totalitäre Strömungen klingen überraschend weitsichtig und könnten heute geschrieben sein, wo große Bevölkerungsgruppen den banal-autoritären, oft tatsächlich lachhaften Lügen und verrückten Versprechungen von Autokraten und Diktatoren nachrennen und sie bejubeln.
Ein bisschen Kritik darf noch sein. Warum Günter Gaus von einem etwa zwölfjährigen Jungen dargestellt wird, bleibt völlig unklar. Die männlichen Figuren, dargestellt vom Frauenensemble, etwa Martin Heidegger oder Walter Benjamin, wirken etwas flach. Aber alles in allem ist die Aufführung gelungen und inspirierend. Sie zeigt Hannah Arendt als wichtige Figur des 20. Jahrhunderts, als große Denkerin und standhafte, selbstbewusste Frau in einer Männerwelt. In dem zweistündigen Theaterabend lässt sich der geistige Kosmos der Grande Dame der Philosophie natürlich nicht komplett durchfahren, aber es gelingt ihn ästhetisch und emotional, ansprechend und intellektuell auszuleuchten.