Übrigens …

Il cappello di paglia di Firenze im Opéra Royale de Wallonie Liège

Pferd frisst Hut, alles gut

Das Geschehen ist kaum der Rede wert. Am Hochzeitstag gönnt sich Fadinard noch einen kurzen Ausritt, bevor er in den Stand der Ehe tritt. Sein Pferd reißt dabei einer jungen Dame den Hut vom hübschen Haupt. Die Geschädigte ist untröstlich. Ihr Galan pocht auf Ersatz durch eine haargenau gleiche Kopfbedeckung. Die Beschaffungsaktion stürzt Fadinard in zahllose zu allem Überfluss vom argwöhnischen Schwiegervater in spe belauerte Konfusionen. Nino Rota, aus dessen Feder die Soundtracks nicht allein zu La Strada, La dolce vita, Fellinis Satyricon und - oscarprämiert - Der Pate, Teil 2, sondern ferner zehn Opern und drei Symphonien flossen, ersann für seine Vertonung von Eugène Labiches Paradebeispiel des Genres „Farce“ blitzgescheiten, überaus charmanten Eklektizismus. So changiert denn Rotas musikalische Faktur vom zeitgenössischen Neoklasszismus bis zu den Jahrzehnten von Verdi bis Puccini. Freilich nicht in unmittelbarer Kopie, vielmehr in freier Anverwandlung. Mitte der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entstanden, erlaubten die Zeitläufte die Uraufführung erst 1955 in Palermo. Seither kehrt das Werk immer wieder einmal auf die Bühne zurück. In der Maasmetropole übernimmt man es aus Genua. Die Wahl ist ausgezeichnet. Virtuos und pointensicher entfesselt Regisseur Damiano Michieletto die hanebüchene Tür-auf-Tür-zu-Dramaturgie des Werks, unter diesem Gesichtspunkt gleichsam Le nozze di Figaro in Potenz.

Den dürren Handlungsfaden begreift Michieletto ebenso als Chance wie den Eklektizismus der Musik. Er fingiert ein Vaudeville, mithin eine locker gestrickte Handlung samt musikalischer Einlagen auf bekannte Melodien. Das musikalische Unterhaltungstheater der Pariser Amüsierviertel und Vorstädte. Das funktioniert hervorragend. Mögen immer Rotas eingängige Melodien sein eigen sein, vieles tönt wie schon einmal gehört. Als hätten nicht gänzlich vergessene Nummern aus ansonsten völlig vergessenen Opern ihre neue Heimat und revitalisierten Reize in verändertem Kontext gefunden. Das belanglose Geschehen muss durch Timing aufgewogen werden. Michieletto gelingen Punktlandungen. Jeder Auftritt und Abgang sitzt, die um einen Hauch von Nichts kreisende Konversation ohnehin. Paolo Fantin stellt verschiebbare weiße Wände auf die Bühne, deren einziger Sinn in den darin eingelassenen Türen besteht. Der Fußboden besteht aus leuchtenden Platten. Alles dies präsentiert sich auf schiefer Ebene. Silvia Aymonios Kostüme messen immer wie angegossen das heutige Spektrum vom Kleinbürgertum bis zur upper class aus.

Musikalisch bietet dieser von Liguriens Küste an die Maas hergewehte Florentinerhut auch musikalisch pausenloses Amüsement aus einem Guss. Der Chor scheint zu feiern, dass sein Chef Denis Segond der Königlich Wallonischen Oper mit frisch verlängertem Vertrag erhalten bleibt. Spielfreudig und sanglich gleichermaßen von Präzision und Schalk erfüllt, liefert das Kollektiv ein Kabinettstückchen um’s andere. Leonardo Sini kostet mit dem Orchester des Hauses die stilistische Bandbreite der Partitur samt der ihr innewohnenden Ironie aus. Für den von einer skurrilen Situation in die nächste geratenden Fadinard wartet Ruzil Gatin mit gleichermaßen gut sitzendem und charmantem Tenor auf. Wenig ahnt seine Braut Elena von den Vorgängen um sie herum, dennoch adelt Maria Grazia Schiavo solches Unwissen durch Stimmschönheit. Ihrem Vater Nonancourt verleiht Pietro Spagnoli so lange misstrauische und drohende Gebärde, bis er sich final und salbungsvoll in die Einsicht fügen muss, einen doch ganz passablen Schwiegersohn zu bekommen. Mit den Genannten vereinen sich alle weiteren Solistinnen und Solisten zum wieder einmal trefflich gecasteten Ensemble.