Festakt 25 Jahre Studio-Bühne Essen an der Korumhöhe
Der Vorsitzende der Essener Studio-Bühne Michael Steinhorst hatte gegoogelt: Am 26. April wurde Alfred Krupp geboren. Der baute die von seinem Vater Friedrich gegründete Krupp’sche Gussstahlfabrik zum seinerzeit größten Industrie-Unternehmen Europas aus und ist einer der größten Helden der Essener Stadtgeschichte. Am Sonntag wäre er 203 Jahre alt geworden. - In Stratford-on-Avon wurde am 26. April William Shakespeare getauft. Der tingelte bald mit einer eigenen Schauspieltruppe und jeder Menge moderner Stückentwicklungen durchs Land und wurde zum größten Helden der Theatergeschichte. Seine Taufe jährte sich am Sonntag zum 451. Mal. Unweit der Geburtsstätte des alten Krupp zog am 26. April ein kleines Amateurtheater in die Räume der ehemaligen Schubert-Schule an der Korumhöhe im Stadtteil Essen-Kray. Voller Ehrfurcht vor dem großen Shakespeare, aber voller Spott und Spielfreude. Am Sonntag jährte sich dieser Tag zum 25. Mal.
Am 26. April 1990 war es Andreas Gruber, der den ersten Satz auf der kleinen Bühne des neuen, damals wohl schon baufälligen alten Hauses sprach. Und am 26. April 2015 sollte eben dieser Andreas Gruber vielleicht die Rolle seines Lebens spielen: den Staatsschauspieler Bruscon aus Thomas Bernhards Theatermacher . Zuvor aber war Zeit für eine Rückschau. Gründervater und Ehrenvorsitzender Siegfried Plewa saß im Auditorium, als der ehemalige Geschäftsführer der Kulturhauptstadt RUHR 2010 Professor Oliver Scheytt die Laudatio auf das Haus hielt, das. „Siggi“ Plewa im Jahre 1951 gründete. Damals spielte man in Wirtshäusern (wie am Abend Bruscon in Utzbach), man zog ins Kolpinghaus, fand Kirchenasyl in Gemeindesälen - und baute sich nach und nach eine treue Fangemeinde auf. Plewa, seine Frau und seine Töchter sind die gute Seelen des Hauses; noch bis vor wenigen Jahren sah man den Gründervater gelegentlich hinter der Bühne, wie er den Sound bediente. Kerstin Plewa-Brodam ist Stellvertretende Vorsitzende des Hauses, eine der charismatischsten Schauspielerinnen in ganz Essen und mit ihrer unerreichten Herzlichkeit die Anchor Woman für Zuschauer, Schauspieler und Kritiker. Und „Siggis“ Enkelin Ann-Kathrin Hundt erobert inzwischen die Bühne und hat vom Opa das Schauspieler-Gen geerbt.
„Drama, Wahnsinn, Kinderlachen“ ist das Motto des kleinen Amateur-Theaters - und es beschreibt die ganze Bandbreite des Hauses. Kindertheater, die hauseigene Comedy-Gruppe „Polterkrays“ und viele spritzig gespielte Komödien füllen die Kasse und sorgen für lokale Vernetzung bei Schulen und Kitas. Mit ihrer Reihe „Gegen den Strom - Originale, Exzentriker, Nonkonformisten“ steht die Studio-Bühne für gesellschaftspolitisches Engagement - sie will, wie Michael Steinhorst sagt, ein „Anders-Ort“ sein, ein Ort der Zugehörigkeit, der sich jedoch gegen den Mainstream weht. Und so ist es nicht überraschend, dass das Theater im Stadtteil Kray gerade auch bei ernsten Stücken zur Hochform aufläuft: Produktionen wie John Steinbecks Von Mäusen und Menschen oder Guy de Maupassants Mutter Furie könnten sich mit ihrer herausragenden Qualität in jedem Stadt- oder Staatstheater sehen lassen.
Mittlerweile gehört die Studio-Bühne zu den auch international bestvernetzten Amateurtheatern in NRW: Gefeiert beim Welt-Amateurtheatertreffen in Monaco, preisgekrönt beim aact WorldFest der American Association of World Theater in Florida, Festival-Teilnahmen in Belgien, Irland oder Kanada - und in Lörrach oder Neuruppin. Im Herbst 2015 wird im Rahmen des 50jährigen Bestehens der deutsch-israelischen Freundschaft die Yoram Loewenstein Acting School aus Tel Aviv an der Korumhöhe gastieren. Am bemerkenswertesten erscheint jedoch die mittlerweile seit 20 Jahren bestehende Theaterfreundschaft mit dem Kinder- und Jugendtheater VERA in Nishnij Nowgorod. „Mutter Furie“ wird dort in diesem Jahr gastieren: ein in deutscher und englischer Sprache gespieltes Stück eines französischen Autors, inszeniert durch die neuseeländische Regisseurin Bronwyn Tweddle im Rahmen ihres zu großen Teilen an der Korumhöhe verbrachten Sabbaticals. So ist die kleine Studio-Bühne ein herausragender Botschafter der Stadt Essen und des Landes Nordrhein-Westfalen in der Welt - und ein wichtiger Mosaikstein im Bildungsspektrum der Stadt Essen.
Alles in Butter also beim 25. an der Korumhöhe? Mitnichten! Seit Jahren kämpft die Bühne für die weitere Nutzung des sanierungsbedürftigen Hauses. Der Begriff „Schrott-Immobile“ geistert als Unwort durch die Flure - geprägt vor ein paar Jahren von einem Gutachter, der sich für die Besichtigung der Räumlichkeiten kaum mehr als eine Viertelstunde Zeit nahm. Es geht wie immer um Geld, aber auch um Raum. Sponsoren sind rar, und im Stadtrat ist das Engagement für die Studio-Bühne nicht bei allen Ratsherren und -frauen gleichermaßen ausgeprägt. Aber heute, am 26. April, waren sie alle da: Bürgermeister, Kulturdezernent, die Abgesandten der im Stadtrat vertretenen Parteien, der Landtags- und der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises. Und manchem wurde an diesem Sonntag erst klar, welche Bedeutung für die Stadt Essen das Theater aufgrund des jahrzehntelangen Engagements seiner Mitglieder erlangt hat. Oliver Scheytt wählte in seiner Laudatio eine zum sonntäglichen Kirchgang passende Metapher: Es stimme nicht, dass kein Geld da sei, behauptete er: „Das Geld ist da, es ist nur noch nicht im Klingelbeutel!“
Liebe Studio-Bühne, alles Gute für die nächsten 25 Jahre! – Dietmar Zimmermann
Foto: Frank Vinken