Übrigens …

Mord und Totschlag

Das Alte Testament – oder genauer: das Erste Testament - ist das heilige Buch des Christen- und des Judentums. Es ist bekannt, dass die in ihm erzählten Geschichten nicht immer in seliger Harmonie verlaufen. Im Gegenteil: schon das Erste Buch Mose präsentiert, kurz nach Erschaffung der Welt und des ersten Menschenpaares, auch schon gleich den ersten Mord: Kain erschlägt seinen Bruder Abel! Da hilft es auch nichts, dass seine Eltern Adam und Eva ihn gottesfürchtig erzogen haben. Das wirft bis heute Fragen auf. Nach der Existenz des Bösen. Und um die Frage nach Frieden und Gerechtigkeit, nach menschlichen Beziehungen.

Was immer auch den Komponisten Alessandro Scarlatti an dieser Gewalttat interessiert hat – er schrieb darüber ein stattliches Oratorium, 1707 in Venedig uraufgeführt, in dem es am Ende halt einen Toten zu beklagen gibt.

Wenn das kein Stoff ist für eine Oper! Dass Scarlatti selbst keine daraus gemacht hat, liegt an dem päpstlichen Verbot, dergleichen aufzuführen. Also zog man dem Werk das Deckmäntelchen „Oratorium“ an – das Regisseur Dietrich Hilsdorf ihm nun wieder abnimmt! Am Samstag feiert „Il Primo Omicidio ovvero Caino“ im Essener Aalto-Theater Premiere. Szenisch, mit Bühne und Kostümen, wie es sich für eine Oper gehört.

Sechs Personen stehen im Zentrum: Adam und Eva, Gott und der Teufel, Kain und Abel, das Opfer. Letzteren weist Scarlatti einer Sopranstimme zu, die in Essen eher ungewöhnlich besetzt ist: mit einem männlichen Sopran! Sein Name: Philipp Mathmann. Einem kundigen Kreis opernaffiner Menschen ist Mathmann schon seit einigen Jahren gut bekannt. Schließlich war er immer wieder Gast im Rahmen bedeutender Festivals, so etwa in Schwetzingen, bei der Styriarte in Graz, in den Niederlanden und in Italien. Nun erobert er sich als Abel in Essen eine weitere große Opernbühne.

Mathmanns Karriere begann vor zwölf, dreizehn Jahren in Westfalen, wobei er seine Zeit damals im Wesentlichen als Student der Humanmedizin an der Uni Münster verbrachte und das Singen für ihn „nur“ Nebenbeschäftigung war. Damals! Das ist inzwischen vorbei: Mathmann singt längst im In- und Ausland, singt Oper, singt Konzert. Und immer in „seinem“ Fach, das seine Stimme eben doch noch eine Quarte höher führt als einen „gewöhnlichen“ Countertenor. Der ist bei der Scarlatti-Premiere in Essen aber auch mit von der Partie: als Gott konnte das Aalto-Theater den Spanier Xavier Sabata engagieren. Sabata zählt derzeit zu den wohl Besten seines Faches. Und er ist fasziniert von der Musik, in die Alessandro Scarlatti das Kain-und-Abel-Drama getaucht hat. Er liebe Händel ja über alles, sagt Sabata – aber Scarlattis Musik sei noch ein Quäntchen mehr „sophisticated“.

Rubén Dubrovsky teilt Sabatas Urteil. Er steht am Pult der Essener Philharmoniker, die natürlich kein ausgewiesenes Spezialensemble für barocke Musik in womöglich historisch informierter Aufführungspraxis sind. Die ersten Orchesterproben in der vergangenen Woche aber klangen verheißungsvoll: hier dürfte ein äußerst lebendiger Orchestersound zu erwarten sein, Musik voller Farbe, auch reich an Dramatik. Also ein Erlebnis für alle Sinne, für die Augen nicht weniger als für die Ohren!

Philipp Mathmann pendelt derzeit noch zwischen Essen und Mainz hin und her. Im Staatstheater Mainz stehen noch vier Vorstellungen der Oper „Zanaida“ von Johann Christian Bach auf dem Spielplan, in denen Mathmann den Cisseo gibt. Weitere Engagements führen den Sopranisten in den kommenden Jahren unter anderem in die Pariser Philharmonie und ins Teatro Real in Madrid, wo er in Vivaldis „Orlando furioso“ den Medoro singt. Nach Südkorea geht es dann mit der Titelpartie in Glucks „Orpheus und Eurydike“. Dazu kommen etliche Konzerte in Warschau, Breslau, Köln, Antwerpen… Viel bei sich zuhause in Berlin wird Mathmann also in nächster Zeit nicht sein!

Die Premiere von „Kain und Abel“ ist am Samstag, dem 25. Januar um 19.00 Uhr im Aalto-Theater in Essen.

Christoph Schulte im Walde

Foto: Matthias Jung (Bettina Ranch als Abel, Philipp Mathmann als Kain - von links nach rechts)