Schauspielerin Hanna Seiffert gestorben
Die Düsseldorfer Theaterfreunde trauern um Hanna Seiffert. Eine der prägenden Schauspieler-Persönlichkeiten des Düsseldorfer Schauspielhauses ist am 18. Mai 2020 im Alter von 89 Jahren verstorben.
Hanna Seiffert gehörte seit den 1980er Jahren zu den Identifikationsfiguren im Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses. Nach Engagements in Nürnberg und Hamburg holte sie der damalige Generalintendant Günther Beelitz im Jahre 1980 in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt. Der Schreiber dieser Zeilen begegnete ihr erstmals im Jahre 1983 in Gert Heidenreichs Drama um den Vatermörder Ted Merschroth: In „Strafmündig“, das sich mit dem Fortwirken der nationalsozialistischen Traditionen in (damals) modernen Familien beschäftigte, spielte sie die Mutter des Protagonisten. Ihre große Zeit hatte Hanna Seiffert in den 1990er Jahren in der Intendanz von Volker Canaris, während derer sie mit den großen Regisseuren David Mouchtar-Samorai und - vor allem - Dimiter Gotscheff zusammenarbeitete. Häufig stand sie gemeinsam mit ihrem Mann Dieter Prochnow auf der Bühne, den sie bereits am Staatstheater Nürnberg kennengelernt hatte und mit dem sie 60 Jahre zusammenlebte.
Hanna Seiffert entwickelte sich mit ihrer tiefen, bis in die hintersten Reihen deutlich vernehmbaren Stimme, ihrem burschikosen Spiel und ihrem oft extrovertierten Witz zu einer der Favoritinnen des Düsseldorfer Publikums. Reinhard Kill von der Rheinischen Post schwärmte in seiner Rezension von Pirandellos „Heute wird improvisiert“ von dem „röhrenden Mamma-Alptraum“, den Seiffert als Mamma Ignazia verkörperte. Der Dramaturg Gerd Muszynski, der einige Jahre mit Seiffert zusammenarbeitete, äußerte sich gegenüber theater:pur wie folgt: „Hanna war ein sympathisches Urvieh mit großer Schnauze und dem Herz am rechten Fleck. Solche Schauspielerinnen sterben aus.“
Zu Beginn der 1990er Jahre gehörte sie zum engeren Kreis der Gotscheff-Schauspieler. In den Inszenierungen des Bulgaren, die damals neben den Arbeiten der jungen Karin Beier das Düsseldorfer Schauspielhaus auf Weltklasse-Niveau hievten, hatte sie einen festen Platz: Man sah sie in Ekaterina Tomovas „Die vom Himmel Vergessenen“ und in Büchners „Woyzeck“, sie spielte „Bruchstücke“ (Gedichte, Minidramen, Monologe und Traumsequenzen) von Heiner Müller und vieles andere mehr. Insbesondere bleibt sie in der Rolle der Ranjewskaja in Tschechows „Der Kirschgarten“ in Erinnerung, in der sie als Gutsherrin Ranjewskaja verzweifelt aufgekratzt die für das Publikum jederzeit spürbare Tragik ihrer Situation zu überspielen versuchte: Hanna Seiffert verstehe sich auf Brüche, schrieb Andreas Rossmann damals anerkennend in der FAZ. Selbst in eher mittelmäßig geratenen Inszenierungen wusste die Schauspielerin zu überzeugen: Aus Peter Wittenbergs „Dreigroschenoper“ bleibt ihre fulminante Seeräuber-Jenny in Erinnerung.
Selbstverständlich war Hanna Seiffert mit ihrer unverwechselbaren, herausfordernden Stimme auch bei vielen Liederabenden des Düsseldorfer Schauspielhauses dabei, so während der Intendanz von Anna Badora in der ultimativen Erfolgsproduktion „Mütter“ von Franz Wittenbrink oder fast zwanzig Jahre früher bei Günther Beelitz in dem Tucholsky-Abend „Hochverehrtes Publikum, sag mal: bist du wirklich so dumm?“. Zu Beginn des Jahrtausends stand sie jahrelang in einem mit Klaus-Lothar Peters selbst produzierten Abend auf der Bühne, in dem sie “Sinniges und Seltsames” von Georg Kreisler, Joachim Ringelnatz und Robert Gernhardt zum Besten gab. „Heute Abend: Hanna Seiffert“ hieß der Abend: Endlich hatte Hanna Seiffert ihre eigene Personality Show. Wir werden sie sehr vermissen.
Dietmar Zimmermann