Erste Premiere in Neuss: ein Liederabend
Ein Versuch, starke Emotionen - induziert durch die Corona-Krise - künstlerisch zu verarbeiten
Am RLT fand die 1. Premiere im Großen Haus nach der durch die Pandemie erzwungenen Pause statt. Sowohl die Proben als auch die Aufführung selber standen bzw. stehen unter Berücksichtigung eines Schutzkonzeptes. Nicht zu vergessen die Tatsache - welche die Intendantin nach der Vorstellung dem Publikum mitteilte -, dass 90 Prozent der MitarbeiterInnen des Hauses in Kurzarbeit seien. Alle Aktiven seien auf der Bühne zu sehen. Die Technik des Abends lag allein in den Händen von Auszubildenden. Also alles keine einfachen Voraussetzungen.
Der Liederabend beschäftigt sich aber auch thematisch mit dem Corona-bedingten emotionalen Ausnahmezustand. Dieser unfreiwilligen Rückbesinnung auf sich selbst, die sporadisch aufkeimenden Hoffnungen und guten Vorsätze, den Kontrast zwischen Einsamkeit und der oft zitierten Entschleunigung und der Sehnsucht nach dem prallen Leben.
Im Zentrum dieses Abends steht ein Mann in den sogenannten besten Jahren (Carl-Ludwig Weinknecht). Zu Beginn lümmelt er sich auf einem breiten Sofa an der Bühnenrampe. Im Hintergrund vier Podeste für die Musiker bzw. Schauspieler. Schon hier ein Kompliment an die Mitglieder des Neusser Ensembles, die sich alle durch hohe Musikalität auszeichnen und die alle ein oder mehrere Musikinstrumente beherrschen: Anna Lisa Grebe, Ulrich Rechenbach, Laila Richter, Antonia Schirmeister und Peter Waros. Hajo Wiesemann zeichnete verantwortlich für die musikalische Leitung des Abends und war mit verschiedenen Instrumenten, u.a. Bass und Klavier, auch an der Produktion beteiligt.
Unser Protagonist spricht nie. Seine Achterbahn der Gefühle wird mimisch dargestellt bzw. durch die verschiedenen Songs angesprochen. Zunächst besinnt er sich in dem plötzlichen Ausnahmezustand auf Aufräumarbeiten, stellt sich sogar eine „to do-Liste“ zusammen, die er mit Kreide auf eine Seitenwand der Bühne schreibt. Dann zappt er sich durchs TV-Programm. Doch so langsam fühlt er sich immer einsamer. Nur Mutti ruft an. Er trinkt und isst zu viel. Dann scheint die Krise überwunden zu sein. Die Stimmung wird positiver. Gemeinsam singt man: „Hier ist ein Lied, das uns verbindet.“
Lieder spiegeln an diesem Abend alle Emotionen und Stimmungen wider. Sei es „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ (The Bare Necessities) zu Beginn, sei es etwas später „Are you lonesome tonight“ (Elvis Presley) oder „Ich geh heute nicht mehr tanzen“ (AnnenMayKantereit). Bekannte Songs wechseln mit weniger bekannten Liedern ab, die Auswahl ist stimmig. Aus der Reihe tanzt sozusagen der Titel „Künstler sind nicht überflüssig“ (Funny van Dannen), und doch sehr treffend. Ein nachdenklicher Song zum eigenen Beruf der Bühnenkünstler: „Künstler haben etwas zu sagen.“
Man lehnt sich zurück und genießt diesen melancholischen Abend. Schön, dass es wieder Theater gibt! - Antje van Bürck
Foto: Marco Piecuch/Pi-Pix