Zum Tod von Christiane Weber
Ich bin fast gar nicht mehr da,
Ist nichts mehr davon übrig wie ich früher einmal war.
Ich möcht’ nicht verschwinden einfach so,
Möcht’ mich gern wiederfinden.
Ich weiß nur noch nicht wo ich suchen soll.
Wohin, wohin ich wohl verschwunden bin?
Wohin? Wohin?
Der Weg ist weit.
Weist du was? Ich geh’ halt Schritt für Schritt für Schritt
Raus aus der Traurigkeit.
Christiane Weber, „Wohin Wohin“ (2010)
Ruhr-Universität Bochum, Anglistik-Seminar, irgendwann in den 90iger Jahren. Die Studentin neben mir pocht mit dem Stift auf mein Heft und sagt: „Also das hast du doch nun letzte Woche schon aufgeschrieben, das brauchste ja jetzt nicht noch ma machen." Breites Grinsen. Was für eine dreiste Person, dachte ich, aber die Empörung blieb zu meiner Verblüffung aus. Ob’s an dem entwaffnenden Kichern lag? Wir machten uns bekannt. Sie hieß Christiane Weber und kam aus Essen. Wir nannten uns fortan Frau Weber und Herr Meyer, obwohl wir uns freilich duzten, und aßen zusammen Kuchen. „Wie fein“, rief Frau Weber wenig später aus. „Jetzt kenne ich einen, der bei der Presse arbeitet. Super. Ich singe nämlich Chansons. Da kommst Du mal schön vorbei und schreibst was!“
Weil sie auf mein Heft gepocht hatte – und ich Chansons insgeheim ziemlich „last season“ fand – besuchte ich sie erst nach der dritten Einladung im Essener Theater im Freudenhaus. Am Flügel saß ihr Bühnenpartner Timm Beckmann, daneben stand Frau Weber im Pannesamtkleid und sang Brel, Kreisler und Hollaender. Es war schwer, der famosen Stimme und dem Charme dieser Frau nicht zu erliegen und damit war ich nicht allein. Die Fangemeinde des Duos Weber-Beckmann wuchs schnell. Die Cover-Versionen bekannter Chansons verschwanden und machten eigenen Liedern Platz. Christiane Weber schrieb die Texte, Timm Beckmann die Musik.
Diese Kombination brachte den Durchbruch. Das Duo trat schließlich bundesweit auf, gewann unter anderem den Publikumspreis der „Tuttlinger Krähe“ (2002), den Mindener Stichling (2006) und den Deutschen Kleinkunstpreis (2007). Daneben sang sie Jazz und schrieb Kinderlieder („Krümelmucke“). 2009 trennte sie sich von Timm Beckmann und entwickelte zusammen mit den Musikern Burkhard Niggemeier und Rainer Bielfeld ihr Soloprogramm „Das Honolulu-Prinzip“ (2010).
Von wegen „last season“. Christiane Weber gab dem Chanson ein modernes, sehr eigenes Gesicht. Sie sang über Alltagsphänomene wie ICEs, Wandschänke, Sprühsahne und Altpapiercontainer. Sie war hoffnungslos sentimental, hemmungslos albern, rettungslos optimistisch – und dabei immer überraschend originell. Sie hatte keine Angst vor großen Gefühlen, besang Liebeskummer, gebrochene Herzen, Tränen, Rachegelüste – und besaß obendrein einen skurrilen Witz. Sie fasste „Aschenbrödel“ in 8 ½ Minuten zusammen („Aschenbrödel, Aschenbrödel lass’ dein Haar herunter, mit dieser blöden Steckfrisur kriegst du ihn niemals munter.“) und beförderte Öko-Inken („Inken, Inken, will Frieden für die Welt und boykottiert rohen Schinken.“) kurzerhand per Schrotmühle ins Jenseits. Ihre Liederabende waren Achterbahnfahrten: Sie ließ ihr Publikum ausgelassen lachen, um ihm gleich danach mit einer Ballade direkt ans Herz zu fassen. Ihr Geheimrezept war ihre Ehrlichkeit. Sie war auf der Bühne wie im Anglistik-Seminar: emotional, intelligent, unverblümt, unverstellt und dazu ein bisschen verrückt.
Nach der CD-Einspielung des „Honolulu-Prinzips“ erkrankte Christiane Weber 2010 an Krebs. Es erschreckt ein wenig, wie oft sie dort bereits von Abschied und Tod singt. „Ich hätt’ gern dreimal so viel Leben und zehn mal so viel Zeit. Und wenn ich einmal geh’n muss, dann hoff’ ich nur ich bin bereit“, heißt es in „Ich renne“. Und in „Wunder in bar“ ruft sie uns zu: „Tränen trocknen nur, wenn man dran glaubt, dass es noch so viel Schönes gibt.“
Am 8. Juni 2012 ist Christiane Weber viel zu früh verstorben. Sie hat unserem rational durchorganisierten Alltag die Poesie zurückgegeben. Sie wird fehlen. Schicken wir ihr einen Gedanken, wenn’s im Hinterhof nach Kuchen duftet.
Tschüss, Frau Weber. Und danke!