Egon Madsen
Die weißen Locken kringeln sich wild um das schmale Gesicht mit den funkelnden, hellwachen Augen. Drahtig die zierliche Gestalt in schwarzem Hemd und schmaler Jeans, behende jede Geste, spontan und offen jede Bemerkung oder Antwort – stets begleitet von einem kokett spitzbübischen Augenzwinkern. Egon Madsen, einer der größten Charaktertänzer des deutschen Balletts, sprüht vor Lebensfreude. In Bielefeld feierte ihn das Publikum Montagabend als Don Q. in dem Duett, das Christian Spuck für ihn und Eric Gautier vor zwei Jahren choreografierte und das inzwischen – mit über sechzig statt der geplanten vier Stuttgarter Vorstellungen – Ballettfreunde in ganz Deutschland begeistert. 24 Stunden später steht er im Deutschen Schauspielhaus Hamburg Rede und Antwort über sein „Tanzleben“.
Pünktlich zum 70. Geburtstag im August dieses Jahres erschien im Henschelverlag die sorgfältig recherchierte, sehr lebendig und mit unaufdringlicher Fachkompetenz geschriebene Biografie „Egon Madsen – Ein Tanzleben“ der Hamburger Kulturjournalistin Dagmar Ellen Fischer. Das Cover zeigt Madsen in dem Solo Dear John – einer Hommage auf John Cranko, die Eric Gauthier 2010 für den 68-Jährigen choreografierte. „Cranko hat mich aufgebaut“ erinnert sich der Tänzer, der 1961 zum Stuttgarter Ballett kam und einer der vielseitigsten, populärsten Solisten der weltberühmten Kompanie wurde. Er sei „mehr als ein Charaktertänzer“, schreibt Hartmut Regitz im Vorwort. Schon in seiner zweiten Saison tanzte Madsen einen unerreichten Mercutio in Crankos Romeo und Julia, wenig später die männliche Titelrolle mit einer blutjungen Julia, der Schweizerin Lucia Isenring, seiner späteren Ehefrau und Mutter von Sohn Flurin. Bei der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2011 an Madsen lobte Marcia Haydée den langjährigen Kollegen, Stellvertreter in der Ballettdirektion und Freund als „eine der größten Bühnenpersönlichkeiten unserer Zeit und Idol für das Publikum“. John Neumeier, der für den Dänen seinen ersten Hamlet und den Armand in der Kameliendame kreierte, hat ihn „schätzen und lieben gelernt“ für seine natürliche Art der Kombination von Spiel und Tanz. Man könne mit Madsen „wahnsinnig gut improvisieren“, lobte er auch bezogen auf dessen köstlichen Gremio in Der Widerspenstigen Zähmung von Cranko, in der sie gemeinsam tanzten.
1981 nahm das Paar Madsen-Isenring Abschied von Stuttgart als Crankos Onegin und Tatjana – mit 40-Minuten Applaus bedankt. Er sei „vom Publikum in den Arm genommen“ worden, anerkennt Madsen mit sichtlicher Freude. Stationen als Ballettdirektor in Frankfurt, Stockholm und Florenz folgten. Jiri Kylian engagierte ihn 2000 für die Seniorenformation NDT III des Nederlands Dans Theater, die Madsen bis zu ihrer Auflösung 2005 leitete. Obwohl er seit 2007 mit Lucia in der Nähe von Pesaro lebt, kehrt er immer wieder in die württembergische Wahlheimat zurück – als Coach von Gauthier Dance im Tanzhaus und tanzend in Choreografien von Spuck (Don Q.) und Gauthier (M.M., Dear John) und als Hexe Madge in La Sylphide, alternierend mit Marcia Haydée, auf der Bühne des Württembergischen Staatstheaters. Ballettintendant Reid Anderson bringt das Phänomen Madsen auf den Punkt: „Ein echtes Bühnentier“.
Das zeigt sich auch an diesem Hamburger Abend, der mit Videoclips seiner berühmtesten Rollen beginnt. Da steht er im Halbdunkel des Marmorsaals, federt und wippt leicht, schmunzelt und lächelt zufrieden – ein Bild für Götter. Das Publikum applaudiert hingerissen. Leicht wie Ping-Pong-Bälle fliegen dann Fragen von Buchautorin Fischer und Madsens Antworten hin und her. Zäsuren bilden gelesene Passagen aus der Biografie. Die unterhaltsame Präsentation endet mit einem launigen Rausschmeißer vor der obligatorischen Signierstunde, als Madsen gespielt über seinen (nicht sichtbar) wachsenden Bauch seufzt: „Das kennen wir doch alle – da kann man nichts machen. Tragen Sie Ihren Körper, wie er ist!“