Übrigens …

In memoriam Lisa della Casa, Galina Wischnewskaja, Gloria Davy

Es war zuletzt wohl 2006, dass zwei große Sängerinnen (überdies aus dem gleichen Fach des hochdramatischen Soprans) an ein und demselben Tag (4. September) starben: Astrid Varnay und Ingrid Bjoner. Für den 10. Dezember 2012 sind die Sterbedaten von Lisa della Casa und Galina Wischnewskaja zu vermelden. Beide Künstlerinnen hatten eine völlig unterschiedliche Repertoireausrichtung, auch Giacomo Puccinis Tosca ist kein wirkliches Bindeglied. Galina Wischnewskaja, gerne als „russische Callas“ bezeichnet, lebte diese Partie häufig auf der Bühne aus, für die eher distinguierte und lyrische Lisa della Casa war die Rolle eine Nummer zu groß. Platten-Ausschnitte lassen allerdings eine reizvolle Porträtfarbe erkennen..

(Bild oben: Lisa della Casa als Arabella)

Lisa della Casas Stimme glühte nicht wie die von Galina Wischnewskaja. Ihr eignete ein eher kühles Timbre, was freilich keinen Mangel an Emotion bedeutet. Doch die gebürtige Schweizerin des Jahrgangs 1919 trug ihr Herz nicht auf der Zunge, die seelische Befindlichkeit der von ihr dargestellten Figuren hatte man sich als Hörer nach und nach zu erschließen. Nicht von ungefähr wurde die Arabella von Richard Strauss zu ihrer Paraderolle. Ein Mädchen zwar voller Herzensdrang, aber doch leicht distanziert und intellektuell wägend, klargesichtig Ausschau haltend nach dem „Richtigen, wenn’s einen gibt auf dieser Welt“. Lisa della Casas Stimme ließ spüren, dass sich diese Frau nicht vom Erstbesten würde erobern lassen. Somit war ihr idealer Mandryka nicht so sehr Dietrich Fischer-Dieskau (häufig ihr Partner auf der Bühne wie auch in der Joseph-Keilberth-Aufnahme von 1963), sondern der maskulin auftrumpfende George London, was in der Wiener Platteneinspielung unter Georg Solti (1957) nachprüfbar ist.

Die superbe Verkörperung der Arabella durch Lisa della Casa verdankt sich freilich auch der fraulich hinreißenden Erscheinung dieser Sängerin, von welcher ihre Kollegin und häufige Zdenka-Partnerin Anneliese Rothenberger einmal sagte, dass einem alleine vom Ansehen „die Luft weg blieb“. Freilich nur einmal, nämlich in München, ist Lisa della Casa die Titelrolle in Salome angegangen, in kluger Einschätzung ihrer vokalen Mittel. Die Chrysothemis in Elektra, gleichfalls gesangliche Schwerstarbeit, schien ihr offenbar weniger kräftezehrend.

Weibliche Eleganz prädestinierte Lisa della Casa für aristokratische Figuren. Bei Wolfgang Amadeus Mozart waren dies die Gräfin in Le nozze di Figaro oder auch die Donna Elvira in Don Giovanni, welche von heutigen Regisseuren freilich gerne anders gesehen wird. Bei Strauss wurden die Marschallin im Rosenkavalier (in früheren Jahren die Sophie, aber auch der von Sopranistinnen durchaus gerne übernommene Octavian), die Ariadne (auf Naxos) und dann noch die Gräfin in Capriccio zum Repertoire-Mittelpunkt. Strauss war auch im Liedrepertoire von Lisa della Casa stark vertreten. Bei den längst kultisch bewunderten Vier letzten Liedern (Studioaufnahme von Lisa della Casa 1953 unter Karl Böhm) könnte man unendlich über das triftigste Timbre diskutieren. Lisa della Casa brachte eine ganz eigene Note ein, die man als verkannt empfinden muss, wo derart kaltblütig seziert wird wie jüngst vom „Stimmenpapst“ Jürgen Kesting in einer vergleichenden Diskografie der Zeitschrift „FonoForum“.

Lisa della Casa engte ihr Rollenspektrum in späteren Jahren keineswegs so massiv ein wie ihre Fachkollegin Elisabeth Schwarzkopf, ging aber wie diese schon zuvor sehr vorsichtig mit Richard Wagner um (Eva in Die Meistersinger von Nürnberg, Bayreuth 1952, Elsa in Lohengrin, Met 1959).In ihrer frühen Karriere verkörperte Lisa della Casa, die auch in Filmen mitwirkte, manche Partien, die sie später ablegte oder die fast nur die Besucher der Wiener Staatsoper erleben konnten: Gilda (Rigoletto von Giuseppe Verdi), Mimi und Cho-Cho-San von Giacomo Puccini (La Bohème und Madama Butterfly), Nedda in Ruggero Leoncavallos Pagliacci. Wer Muße hat, ein wenig in Youtube zu navigieren, wird darüber hinaus auf rare Mitschnitte stoßen wie die einer Hamburger Rosenüberreichung (Rosenkavalier) mit Martha Mödl als Octavian.

1974 gab Lisa della Casa ihre Laufbahn von einem Tag auf den anderen auf, was unter anderem mit einer schweren Erkrankung ihrer Tochter Vesna zu tun hatte. Die Künstlerin zog sich ganz auf ihr Schloss Gottlieben zurück und mied die Öffentlichkeit. Erst 2008 ließ sie sich wieder für ein (Fernseh-)Interview überreden, welches sie übrigens mit charmantem schweizerischem Akzent und Zigarette rauchend absolvierte. Mit dabei: Gatte Dragan Debeljevic, der 1975 sein „Leben mit Lisa della Casa“ in einem Buch beschrieben hat. Das Künstlerleben der Sängerin wird immerhin durch ihre Aufnahmen weiter leben.

 

(Bild oben: Galina Wischnewskaja als Aida)

Die 1926 in Leningrad geborene Galina Wischnewskaja begann ihre Karriere 1944 an einem Operettentheater und behielt selbst in fortgeschrittenen Karrierejahren lyrische Partien wie Violetta, Desdemona (Otello) und Alice (Falstaff) von Verdi, Charles Gounods Marguérite (Faust) und Puccinis Liu (Turandot) bei (letztere unter anderem 1964 beim Scala-Debüt an der Seite von Birgit Nilsson - Ausschnitte bei Youtube). Grundsätzlich jedoch war sie stets eine betont expressive, glutvolle Sängerin, die zu voller Verwirklichung die Szene und flammende Spielsituationen benötigte. „Im Alltag sind wir nichts als Schauspieler, Menschen werden wir nur auf der Bühne“, sagte sie einmal.

Ihr Operndebüt gab Galina Wischnewskaja mit einem Werk, welches über sowjetische Grenzen vermutlich nie hinausgekommen ist: Kholopka von Nicolay Strelnikow. Auch von Wissarion Schebalins Der Widerspenstigen Zähmung (für Galina Wischnewskajas Temperament war die Katharina sicher eine ideale Partie) dürfte man im Westen kaum je etwas vernommen haben. Aber das gehört mit zu den Verläufen des „Kalten Krieges“. Die auf Volkstümlichkeit und Verständlichkeit pochende Musikpolitik des kommunistischen Regimes tat ein Übriges.

Das leitet zur Tatsache über, dass Galina Wischnewskaja nicht nur im künstlerischen Sektor zu einer Mittelpunktsfigur wurde, sondern auch im politischen Bereich von sich reden machte. Sie und ihr zweiter Gatte, der universelle Mstislav Rostropowitsch, setzten sich nachhaltig und mutig für Menschenrechte in der Sowjetunion ein. Sie nahmen beispielsweise den verfemten Schriftsteller Alexander Solschenizyn in ihr Landhaus auf, pflegten engen Kontakt zum Komponisten Dmitri Schostakowitsch (dieser widmete der Sängerin 1960 seine Satiren opus 109). Die „subversiven“ Aktivitäten des Ehepaares führte 1974 zur Ausbürgerung. Erst die Tauwetter-Jahre unter Michail Gorbatschow ermöglichten eine Rückkehr in die Heimat, und noch kurz vor ihrem Tode empfing Galina Wischnewskaja aus den Händen von Vladimir Putin einen hohen Orden.

Das Künstlerehepaar Galina Wischnewskaja/Mstislav Rostropowitsch hatte, was Auslandsaufenthalte betrifft, auch in politisch schwierigen Zeiten relativ viele Privilegien. Zusammen bestritten sie also vielerorts Liederabende, wobei russische Komponisten wie Modest Mussorgsky oder Schostakowitsch natürlich besonders gepflegt wurden. Aber auch die Werke westlicher Künstler kamen zum Zuge, etwa die von Benjamin Britten. L’Echo de Poète ist sogar für Galina Wischnewskaja geschrieben. Mit dem Namen Britten verbindet sich übrigens ein besonderes Vorkommnis. 1962 wurde in der Kathedrale von Coventry das War Requiem uraufgeführt, geschrieben in mahnender Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Als besonderes Zeichen der Versöhnung hatte Britten die Gesangssoli für Künstler aus den einst verfeindeten Ländern vorgesehen: Dietrich Fischer-Dieskau stand für Deutschland, Peter Pears für England, Galina Wischnewskaja für Russland. Doch der Sopranistin wurde von der Sowjetregierung in letzter Minute die Ausreise verweigert, die britische Kollegin Heather Harper sprang ein. Erst die ein Jahr später entstandene Plattenaufnahme führte das vorgesehene Vokaltrio komplett zusammen.

Nach ihrer Ausbürgerung setzte Galina Wischnewskaja ihre Karriere natürlich fort. So gab sie 1975 ihr Debüt an der San Francisco Opera mit Lisa in Tschaikowskys Pique Dame und kehrte im gleichen Jahr für eine einzige Tosca-Vorstellung auch an die Met zurück, eine Partie, welche sie unter Leitung ihres Gatten zudem für die Platte aufnahm. Auch andere einschlägige Rollen ihres Repertoires wie die Katerina in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk oder die Natascha in Serge Prokofjews Krieg und Frieden gibt es als Studioaufnahmen. Letztere entstand 1986, also bereits nach ihrem Bühnenabschied, Eine erste Einspielung war 1960 mit dem Ensemble des Moskauer Bolschoi-Theaters entstanden. Die Veränderungen von Galina Wischnewskajas Stimme lassen sich hier gut studieren. Die Spätkarriere der Künstlerin blieb von kritischen Kommentaren nicht ganz verschont, doch Präsenz und Bühnenautorität der Künstlerin blieben bis zuletzt faszinierend.

Für das zeitgenössische Musikschaffen war Galina Wischnewskaja stets aufgeschlossen. Seltsamerweise empfand sie keine Sympathien für Neuerungen im inszenatorischen Bereich. Mit Tatjana, der Partie ihres Bühnenabschieds 1982 (Plattenaufnahmen 1955 und 1970), war sie emotional fraglos besonders verbunden. Aber dass sie nicht bereit war, sich mit Veränderungen der Bühnenästhetik kreativ auseinanderzusetzen, wundert schon ein wenig. Eine neue Onegin-Produktion während der Umbaujahre des Bolschoi-Theaters (ab 2005) etikettierte sie mit dem Wort „Vandalismus“. Sie war sogar derart verärgert, dass sie dem Hause Feiern zu ihrem 80.Geburtstag verweigerte und diese in die Tschaikowsky-Konzerthalle verlegte. Unbeugsame Überzeugung also auch hier - und das verdient dann fast schon wieder Respekt.

 

(Bild oben: Gloria Davy als Aida)

Der Tod von Gloria Davy am 28. November 2012 wurde weitgehend nur in Kreisen von Connaisseurs wahrgenommen. Dazu passt, dass die Sängerin nur wenige Plattenaufnahmen hinterließ. Die Deutsche Grammophon brachte vor einigen Jahren nochmal ihre deutschsprachigen Opernquerschnitte von Aida, Trovatore und Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana vom Beginn der sechziger Jahre heraus. Eine gewisse Breitenwirkung hatte seinerzeit auch die (originale WDR)-Aufnahme von Karl Heinz Stockhausens Momente. Dieses Repertoire-Spektrum erinnert an Gloria Davys Freundin Martina Arroyo, die ebenfalls vorrangig im italienischen Fach beheimatet war, sich aber auch die Momente erarbeitete. Und beide gehörten zu den ersten Sängerinnen, die (1955 beginnend mit Marian Anderson) die rassenfeindlichen Verkrustungen an der Metropolitan Opera überwinden halfen. Dass sich Aida bei dieser Gelegenheit empfahl (Gloria Davy: 1958), versteht sich natürlich.

Eine andere „farbige“ Partie ist Bess. Ob Porgy and Bess als Oper zu bezeichnen ist, mag Begriffstüftlern überlassen sein; Wert und Faszination von George Gershwins Musik bleiben davon unberührt. Ein besonderer Fürsprecher des Werkes ist ja übrigens Nikolaus Harnoncourt. Anfang der fünfziger Jahre hatte man in Europa allerdings noch Vorbehalte gegen das Werk, aber die weltweite Tournee eines amerikanischen Ensembles machte Furore. Zu ihm zählte die junge Leontyne Price (ihr Berliner Auftritt wurde mitgeschnitten und auf CD veröffentlicht). Das „en suite“ indes ermüdete sie und so bekam die vier Jahre jüngere, noch an der New Yorker Juilliard School studierende Gloria Davy eine Chance. Einer ihrer Auftritte führte sie auch an die Mailänder Scala, wo der Dirigent Victor de Sabata auf sie aufmerksam wurde und ihr empfahl, sich verstärkt auf das italienische Fach zu kaprizieren. Er sorgte, in enger Bindung an das Haus, für ihre entsprechende Ausbildung und wollte sie 1957 in Folgevorstellungen einer Aida-Neuproduktion debütieren lassen. Dazu kam es dann aber nicht, möglicherweise aufgrund eifersüchtiger Interventionen von Maria Callas. Pikanterweise übernahm Gloria Davy im gleichen Jahr kurzfristig für die „Tigerin“ eine konzertente Anna Bolena (Gaetano Donizetti) in New York, da sich die Diva launenhaft zierte. Zuvor erlebten die Amerikaner aber noch die Hochschul-Absolventin: mit Benjamin Brittens Liederzyklus Les Illuminations und der lokalen (szenischen) Erstaufführung von Richard Straussens Capriccio. Bereits damals bezeichnete die New Yorker Times Gloria Davys Stimme als „soft, fresh, clear and warm“.

Obwohl vielseitig ausgerichtet, war und blieb Verdis Aida für Gloria Davy eine Vorzeigepartie. Unter Herbert von Karajan sang sie diese Rolle 1959 in Wien, 1961 unter Karl Böhm in Wieland Wagners Berliner Inszenierung und an vielen weiteren Bühnen. Die Met-Partien während ihres dreijährigen Engagements waren darüber hinaus die Trovatore-Leonora, Pamina (Mozarts Zauberflöte) und die Nedda (Ruggero Leoncavallos Pagliacci). An der Scala konnte sich Gloria Davy noch umfänglicher präsentieren: auch hier gab sie die Nedda, aber auch Puccinis Madame Butterfly, die Elvira und Anna in Mozarts Don Giovanni sowie Jenny in Kurt Weills Mahagonny.

1969 hatte die Künstlerin einen schweren Autounfall, der sie fast ihre Karriere gekostet hätte. An Bühnenauftritte war in der ersten Zeit danach auf keinen Fall zu denken, aber eine geplante Produktion von Dialogues des Carmélites von Francis Poulenc in Genf wollte die Künstlerin in jedem Falle mitmachen. Regisseur Lotfi Mansouri konzipierte die Partie der Priorin daraufhin um, Gloria Davy agierte im Rollstuhl und überzeugte das Publikum von der „Notwendigkeit“ dieses eigenwilligen Regieakzents. Der Unfall zeitigte aber auch Spätwirkungen und führte zu Beginn der neunziger Jahre zur Aufgabe der aktiven Laufbahn und einer parallelen Professur an der Indian University Bloomington. Aber das fiel Gloria Davy letztlich nicht schwer, denn sie hatte den karriere-typischen Stress zur Genüge kennen gelernt und nahm die Ereignisse als schicksalhaften Wink. „Ich hatte ein wundervolles Leben. Mit vielen Höhe- und Tiefpunkten, aber ohne die Letzteren kann es Erstere nicht geben.“ Dieser sehr kluge Satz beschließt ein Interview, welches Gloria Davy Ende 2011, also ungefähr ein Jahr vor ihrem Tod, der Zeitschrift „Opernwelt“ gab. Die animierenden Äußerungen der Sängerin lesen sich mit großem Gewinn. Die rassischen Vorurteile, gegen die sie früher noch zu kämpfen hatte, sind inzwischen dahin. Ihre künstlerische Arbeit dürfte nicht wenig dazu beigetragen haben.