Übrigens …

Der Vater des Deutschen Tanzpreises

Wenn der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik am kommenden Samstag im eleganten Essener Aalto-Theater den 30. Deutschen Tanzpreis im Rahmen der traditionell mehrstündigen Gala verleiht, steht der Mann im Mittelpunkt, der diese werbeträchtigste Veranstaltung für den Tanz in Deutschland erfunden hat. Ulrich Roehm ist der Vater der undotierten, aber dennoch hochbegehrten Auszeichnung an Persönlichkeiten, die den Bühnentanz in Deutschland durch ihre Kunst und pädagogische Arbeit am meisten gefördert und zu dem heute internationalen Ansehen von Deutschland als "Tanzland"  beigetragen haben.

Die legendären Tänzerinnen Tatjana Gsovsky (West-Berlin) und Gret Palucca (Dresden) teilten sich 1983 im noch geteilten Deutschland den ersten Preis. Startänzer, die Ballettdirektoren wurden, wie John Neumeier, Heinz Spoerli, Marcia Haydée, Birgit Keil und Konstanze Vernon folgten im Wechsel mit den Granden der Choreografie Hans van Manen, Maurice Béjart, William Forsythe und Pina Bausch. Hans Werner Henze erhielt den Ritterschlag als engagiertester deutscher Ballett-Komponist. Gelegentlich standen auch Größen, die hinter den Kulissen wirken, Gönner und Gründer von Instituten oder Institutionen im Rampenlicht.

Seit 2005 verleiht der neu gegründete Förderverein Tanzkunst Deutschland e.V am selben Abend den Tanzpreis Zukunft an herausragende junge Tänzer, Tänzerinnen und Choreografen. Seit dem vorigen Jahr ergänzt eine neue "Anerkennung" das Programm.

Ulrich Roehm, der umtriebige Tänzer, engagierte Tanzpädagoge und langjährige Verbandsvorsitzende, sei "ein Tänzer vom Scheitel bis zur Sohle" heißt es in der Begründung  für die Preisverleihung zu seinem Abschied im 80. Lebensjahr. 1933 in Essen geboren, interessierte sich Roehm für Theater und Tanz schon während seiner ersten Jahre an der Waldorfschule. Der Ausbildung an der Folkwangschule folgten Engagements als Solist am belgischen "Ballet Royal de Wallonie", am Folkwang-Ballett und an den (damaligen) Städtischen Bühnen Essen. Zahlreiche Gastspiele führten Roehm durch ganz Europa. Ein Angebot des National Ballet of Canada entführte ihn mit der Familie nach Toronto, wo er fünf Jahre blieb und seine tanzpädagogische Tätigkeit begann.

Zurück in Essen eröffnete er sein Tanzstudio, das bis heute besteht, und unterrichtete nach dem Vorbild der Royal Academy of Dance (RAD, London). 1975 beauftragte die Londoner Direktion Roehm mit dem Aufbau der RAD-Organisation in Deutschland, die heute floriert.

Gleichzeitig gründete Roehm den Deutschen Berufsverband für Tanzpädagogik - seine wichtigste, nachhaltigste Tat. Denn bis heute gibt es in Deutschland kein staatlich anerkanntes Berufsprofil, so dass sich jedermann ohne den Nachweis einer qualitativen Eignung - etwa der Ausbildung an einer Akademie - ein Tanzstudio eröffnen kann, andererseits aber keinerlei Berufsschutz existiert. Im Berufsverband schließen sich professionelle Tanzpädagogen zusammen, die regelmäßig u.a. an Fortbildungen des Verbandes teilnehmen. 1977 rief Roehm die Zeitschrift Ballett Intern ins Leben. 1985 gründete er im Auftrag des Kulturministeriums von Süd-Tirol das Festival Ballettsommer Bozen / Bolzanodanza (heute Bozen tanzt) und initiierte eine Vielzahl weiterer Projekte und Programme nicht nur in Deutschland  zum Wohl des Tanzes.

Die deutsche Tanzszene wird um eine dynamische, schillernde Persönlichkeit ärmer. Günter Pick, nur zehn Jahre jünger, aus derselben "Talentschmiede" und seit langem 2. Vorsitzender des Berufsverbandes, garantiert sicher vorerst die Kontinuität des Galaevents Deutscher Tanzpreis. Auf einen echten Generationswechsel darf man bei den Preisträgern hoffen. Signalwirkung könnte das Tanzprogramm der diesjährigen Gala  haben:  alle bisherigen "Zukunft"-Preisträger haben zugesagt, sich zu Ehren Ulrich Roehms tanzend auf der Bühne zu versammeln. Und: ausgezeichnet mit dem Zukunftspreis wird das neuformierte Bundesjugendballett (Hamburg). Die Anerkennung "für sein außergewöhnliches Engagement hinter der Bühne" erhält der 35-jährige Manager des Ballett Dortmund, Tobias Ehinger.

Foto: Ursula Kaufmann