Ich bin durch und durch ein Theaterkind
Jakob Schneider ist seit der Spielzeit 2014/2015 Ensemblemitglied im Schauspiel Düsseldorf – und weckt dort, wie zuvor schon im Schauspiel Dortmund, neugieriges Interesse. Auch bei theater:pur-Autorin Antje van Bürck. Sie traf den Künstler zum theater:pur-Gespräch.
Antje van Bürck (AvB):
In „März – ein Künstlerleben“ wirkten Sie so authentisch bis in den kleinen Finger hinein, dass man sich diesem Sog der Figur kaum entziehen konnte. Wie kommt eine solche Symbiose mit der Rolle zustande? Ist das immer so? Spielt die Sinnlichkeit dieser Figur hier eine besondere Rolle?
Jakob Schneider (JS):
Ja, es geschieht mir im Idealfall. Ich trete, gehe von und mit ganzem Herzen in die Rolle/Figur/Gestalt hinein. Wenn es leben mag, dann ist das ein Geschenk besonders. Das gilt besonders für extreme Figuren. Das schüttelt man auch nicht so schnell nach Ende der Vorstellung ab. Bei „März“ bin ich noch ein bis zwei Stunden nach Ende der Vorstellung „nicht da“.
AvB:
Kipphardt schrieb, die Zunahme der psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft sei riesig. Er nennt das sogar eine psychische Verelendung der Gesellschaft und begründet sie mit der Nichterfüllung unserer Bedürfnisse, der Einseitigkeit unseres Lebens. Was denken Sie darüber?
JS:
Ich würde es nicht „psychische Verelendung“ nennen. Das klingt zu moralisch-menschlich, zu philosophisch. Aber es ist ein gesellschaftliches Phänomen. Die Menschen stehen unter einem furchtbaren Druck, zu funktionieren. Auch unter dem Druck, Anerkennung zu bekommen. So brisant, wie es Kipphardt formulierte, ist es heute noch. Das Drama findet nach wie vor statt. Das erklärt auch die große Bindungsangst vieler Menschen. Sie scheuen das Experiment einer Bindung von Mensch zu Mensch. Burn-out als Volkskrankheit. Die Menschen leiden an den vielen Mängeln, denen sie ausgesetzt sind. Denken wir an die jüngsten Vorfälle in Paris, die die enorme Bedrohung von außen widerspiegeln. Bei manchen Menschen ist das ein Prozess, den man so beschreiben kann: er geht wie ein Hefeteig auf, der anfängt, Blasen zu werfen.
AvB:
Und noch eine Frage zu „März“: ist die Frage „was ist normal, was nicht mehr?“ überhaupt klar zu beantworten? Sind die Übergänge nicht fließend?
JS:
Ich vermute: ja. Die Übergänge sind fließend. Jeder einzelne steckt ein Terrain aus Normen für sich ab – durch Erlerntes, Gelebtes, Erfahrung, auch basierend auf Wünschen und ideellen Werten. Es ist ein Spiel des Tages, das sich immer neu ergibt.
AvB:
Die Kooperation mit dem Regisseur ist zweifelsohne wichtig. Was zählt hier besonders, wenn man zusammen ein gutes Ergebnis haben möchte? Gibt es Regisseure, mit denen Sie nicht zusammen arbeiten möchten?
JS:
Eine Zusammenarbeit, bei der man aneinander vorbeigeht, ist nicht wünschenswert. Die Chemie muss stimmen, man muss eine gemeinsame Sprache sprechen, sich treffen in Tönen, fragen, die gleichen Ideen haben, im Laufe der Arbeit geben und nehmen. Theaterspiel ist ein künstlerischer Prozess, man malt auf andere Art ein „Gemälde“.
AvB
Sie nahmen einen mehr unkonventionellen Weg zum Beruf des Schauspielers. Wie kamen Sie zu diesem Berufswunsch?
JS:
Von klein auf war mir klar: ich werde Künstler. Zunächst wollte ich Maler werden, das schien selbstverständlich zu sein. Mit 15, 16 Jahren sah ich Götz George im „Totmacher“. Der Film löste die Idee aus: Schauspieler muss ein toller Beruf sein, wenn man so etwas so spielen kann.
AvB:
Sie waren ja eine ganze Zeit „frei“. Wonach suchten Sie sich Rollen/Regisseure/Häuser aus? Was reizt Sie, zu spielen?
JS:
Zunächst einmal nimmt man das, was man bekommt. Man muss ja von etwas leben. Was mich reizt, zu spielen? Alles! Ich will alles durchdringen, was ich fassen kann. Durchdringen, um ein Stück zu begreifen. Alles, um den Geschmack zu bekommen, um mich bis zum Geht-nicht-mehr damit auseinanderzusetzen. Wobei auch Scheitern enorm wichtig ist. Die Menschen sollen etwas von dem Geschehen auf der Bühne haben.
AvB:
Ihre Biografie weist auch Filmproduktionen auf. Film und Bühne - wie kann man die doch unterschiedliche Arbeit charakterisieren? Gibt es Präferenzen?
JS:
Ich bin durch und durch ein Theaterkind. Habe aber auch Interesse am Film. Der Arbeitsprozess dort ist ein ganz anderer, den ich lernen will. Es ist eine ganz andere Art der Darstellung, die Zeit wird anders eingeteilt. Und der Film bleibt, während ein Abend im Theater am Ende der Vorstellung gestorben ist. Das heißt, im Theater gibt es von Abend zu Abend Variationen. Auch das ein Unterschied zum Film.
AvB:
In einem Interview vor einem Small Beast-Konzert mit Paul Wallfisch in Dortmund sagen Sie, Musik wäre ein Ventil, wäre Entspannung für Sie. Welche Verbindung gibt es zwischen Theaterspiel und Musik?
JS:
Musik ist für mich eine Privatsache. Sie ist enorm wichtig für mich. Oft sehe ich Farben, ja sogar Linien und Punkte im Raum, wenn ich Musik höre. Ich liebe zum Beispiel Alban Berg.
AvB:
Berlin ist Ihre Heimat. Ein stressfreier/-armer Ort. Sicherlich genauso wichtig, um zwischendurch Energie zu tanken wie die Musik?
JS:
Ja. Berlin ist meine Heimat, mein Zuhause. Daher sehr wichtig. Musik hilft mir, zu entspannen. Nach einer Probe, nach einer Vorstellung. Wenn ich dann eine Stunde auf der Gitarre spiele oder etwas komponiere, ist das wunderbar. Auch nach einem traurigen Tag.
AvB:
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Nachfolgend Links zu den theater:pur-Rezensionen jener Inszenierungen, in denen Jakob Schneider zu erleben war:
„Iphigenie auf Tauris“, theater:pur-Rezension hier
„Kreise und Visionen“, theater:pur-Rezension hier
„März, ein Künstlerleben“, theater:pur-Rezension hier
„Königsallee“, theater:pur-Rezension hier