Dorothea Herbert - Courage trotz Corona
Dorothea Herbert - Courage trotz Corona
Wir sitzen im leeren Auditorium des Krefelder Großen Hauses. Um ohne Maske sprechen zu können, zwei Plätze voneinander entfernt. Eine Reinigungskraft desinfiziert die Bühne. Am Abend wird Dorothea Herbert als Sieglinde darauf stehen. Das Zweistädtetheater Krefeld-Mönchengladbach ist der Jugendlich-Dramatischen vertraut. Nicht anders die Semperoper, Het Muziektheater in Amsterdam, das Mannheimer Nationaltheater oder das Karlsruher Badische Staatstheater. Ihre vokal und darstellerisch vielfältig changierende und strahlkräftige Salome in Mönchengladbach verschaffte dem Institut überregionale Aufmerksamkeit. Seit März hat die Sängerin so intensive Erfahrungen mit der künstlerischen Arbeit unter Pandemie-Bedingungen sammeln können wie nur wenige ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Gespenstisch
Schon ihr Rusalka-Debüt hier in Krefeld stand - einen Tag vor dem nordrhein-westfälischen Lockdown, mit dem auch die Schließung aller Theater des Landes einherging - unter den Vorzeichen der Ausnahmesituation. Dorothea Herbert sang und spielte an diesen unheilvollen „Iden des März“ (15. 03.) eine von der Pandemie im Allgemeinen und dem nahen Seuchenhotspot im Kreis Heinsberg gefährlich speziell diktierte Geister-Premiere ohne physisch anwesendes Publikum. Das aber fand sich daheim vor den Computerbildschirmen ein, um den Youtube-Livestream zu verfolgen. „Ich habe mich für die Übertragung stark gemacht „ erklärt Dorothea Herbert. Von Anfang an sei ihr klar gewesen, dass der Kontakt zum Publikum „nicht abreißen“ dürfe. Eine Position, die sie mit der auch deshalb von ihr geschätzten Leitung des Hauses teile. Im März habe noch erhebliche Unklarheit darüber bestanden, was Covid-19 für die Interaktion auf der Bühne bedeute. „Die Krefelder Rusalka war medikamentenabhängig. Daher sollte mir eine Kollegin eine Tablette in den Mund schieben. Ich hatte kein Problem damit, habe aber der Kollegin gesagt: ‚Wenn du Bedenken hast, kannst du sie mir auch in die Hand legen‘."
Angst ist kein Ratgeber
Denn wie beherzt die bekennende Münchnerin auch ihre Aufgaben anpackt, Dorothea Herbert trifft für sich klare Entscheidungen, ohne anderen ihre Maßstäbe aufzudrängen. „Ich habe keine Angst vor Covid-19“, sagt sie von sich. Was nicht heißt, dass sie die Gefährlichkeit der Pandemie herunterspielt oder sich in unbedachte Wagnisse stürzt: „Ich lebe schon eher wie eine Eremitin.“ Der Beruf beschränke unter dem Diktat der Seuche ihre sozialen Kontakte selbst im Freundeskreis. Das Theater als einigermaßen geschlossenes System begünstige die für sie keineswegs erwünschte, doch für ihre Arbeit unerlässliche Abschottung.
Befreiungsschlag Wien
Es war diese Kombination aus Mut und Vorsicht, die für das Engagement am Theater an der Wien die beste Voraussetzung bot. Nach den zahlreichen wegen des Lockdowns abgesagten Vorstellungsterminen erlöste dort Leoncavallos selten gespielte „Zazà“, in der Dorothea Herbert für die Doppelrolle der Varietésängerin Floriana und der Madame Dufresne besetzt war, die Sängerin aus der bleiernen Zeit des Stillstands. „Nach Wochen des Bangens und Hoffens“, ob die Produktion zustande kommen werde, empfand sie den Probenbeginn in der ersten Augustwoche und damit „endlich wieder auf der Bühne zu stehen“ als schlicht „wunderbar“. Mochte immer die österreichische Corona-Ampel für Wien auf dräuendes Orange geschaltet sein und das deutsche Außenministerium während der Aufführungsserie im September vor Reisen nach Wien gewarnt haben, so sei es dem Haus dennoch gelungen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, bei denen sie sich durchweg sicher gefühlt habe. Billigend hat die Sängerin deshalb zahlreiche Covid-Testungen über sich ergehen lassen. Denn gegenwärtig eröffne, was unter gewöhnlichen Umständen als lästig und einschränkend erfahren werde, Optionen für die künstlerische Freiheit. Erst die strikten Sicherheitsvorkehrungen hätten erlaubt, auf der Bühne das Distanzgebot fallen zu lassen, um - trotz Aerosolen - singend auf Tuchfühlung zu gehen. Auch habe Regisseur Christof Loy die Erfahrungen aus seiner „Cosi“ bei den Salzburger Festspielen in die gleichwohl sehr besonderen Arbeitsbedingungen einbringen können. „Immer hat er gewusst, was geht und was nicht“, unterstreicht Dorothea Herbert, die sich durch solche Souveränität in ihrer Zuversicht bestärkt sah. Während der Vorstellungen habe das im Schachbrettmuster platzierte und - um endlich wieder Musiktheater live erleben zu können - oft aus dem Ausland eigens angereiste Publikum zusätzlichen Auftrieb gegeben.
Blicke überbrücken die Distanz
Zurück aus der österreichischen Kapitale in die Seidenweberstadt: Wir blicken auf die Krefelder Bühne, wo der monumentale Tisch im Zentrum von Hundings unfrohem Heim und selbst der darin steckende Nothung längst keimfrei der abendlichen Vorstellung harren. Dorothea Herbert setzt zum auch mentalen Sprung von der Donau an den Niederrhein an: „Ich kam in eine völlig andere Welt“, bringt die Sängerin ihre Erfahrung auf den Punkt. Noch am Tag vor ihrer ersten Probe zur Krefelder „Walküre“ hatte sie in Wien auf Körperkontakt gespielt, nun galt es Distanz zu halten. Nähe war allein durch den - freilich von Wagner komponierten und von der Regie auch umgesetzten - intensiven Blickkontakt zu den Bühnenpartnern herzustellen. Seuchenbedingte Einschränkungen und jeweils stark voneinander abweichende Arbeitsbedingungen an den verschiedenen Häusern nimmt die Sängerin in Kauf. Letztlich gehe es ihr darum, „überhaupt auf der Bühne zu stehen“. Wenn es hart auf hart komme, dann eben „als Baum und stumm“. Was ihr hoffentlich erspart bleiben wird, es sei denn - vielleicht irgendwann einmal - während der Verwandlungsmusik von Richard Straussens „Daphne“.
Perspektiven
Zumal die Sängerin glänzende Aussichten hat: Im Oktober nächsten Jahres wird sie die „Fidelio“-Leonore in Glyndebourne sein. Nicht allein der Karriereschritt selbst erfüllt die durch Studium und erste Engagements der Britischen Insel verbundene Sängerin mit Zufriedenheit, der Ruf nach Sussex beschert ihr darüber hinaus eine Genugtuung anderer Art. Drei Mal habe sie für den aus Solisten bestehenden Festspielchor vorgesungen. Drei Mal sei sie ihrer unverwechselbaren und daher aus dem Kollektiv heraus hörbaren Stimme wegen abgelehnt worden. Nun führe sie eben eine Titelpartie ins Festspielhaus : „Jetzt bin ich willkommen“. Die Sängerin sagt das mit einem Leuchten nicht allein in den Augen, sondern auch in der Sprechstimme, die bei aller Formung ihre Natürlichkeit bewahrt hat. Keine Frage, Dorothea Herbert ist eine Frau mit Bodenhaftung, vokalem Charisma, Bühnenpräsenz und Courage, die sich von Covid-19 nicht daran hindern lassen wird, in die internationale Karriere durchzustarten.
(Das Gespräch mit Dorothea Herbert führte Michael Kaminski.)