Der Mensch - als Narr geboren
Endlich Ferien! Die Familien Ford und Page bevölkern – irgendwann zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts - einen englischen Badestrand an der Themse, wie das leuchtende Londoner Riesenrad im Hintergrund signalisiert. Für alles ist gesorgt. Natürlich auch für das gesundheitliche Wohl, über das Dr. Cajus wacht. Eine perfekte Umgebung also für einen ruhigen, erholsamen Urlaub. Wenn da nicht der dicke Falstaff wäre, der sich mit seinen beiden Saufkumpanen an der lauschigen Strandbar eingenistet hat. Und diese Gestalten sind ständig auf der Suche nach Quellen zur Finanzierung ihrer Gelage. Deshalb nehmen sie jetzt die reichen Damen Alice Ford und Meg Page ins Visier, um ihnen die Moneten abzuluchsen und den Ehemännern Hörner aufzusetzen.
In diese Umgebung versetzt Wuppertals Opernintendant Johannes Weigand Verdis Falstaff und ihm gelingt damit ein heiterer Abend, für den ihm Moritz Nitsche die richtige Atmosphäre auf die Bühne zaubert. Ein Badekarren, Liegestühle und ein schaukelndes Boot schaffen vielfältige Möglichkeiten und funktionieren als wichtige Elemente einer Komödie. So können die verschwörerischen Frauen genüsslich die Umsetzung ihres Racheplans verfolgen, während die eifersüchtigen Gatten damit beschäftigt sind, mit viel Getöse ihre „Hausdurchsuchung“ vorzunehmen. Mit großer Geste kippen dann beide Gruppen gemeinsam den betrogenen Betrüger Falstaff aus dem hoteleigenen Wäschekorb in die Fluten.
Kostümbildnerin Judith Fischer wartet nach einer veritablen Bademodenschau mit fantasievollen bunten Feenkostümen auf und kreiert eine zauberhafte, trügerisch friedliche Stimmung. Die ist verwirrend genug, dass auch die letzten Intrigen zum Happy End für ein verliebtes Paar werden können - und der selbstherrliche Herr Ford in die Schranken gewiesen wird. Der Schluss ist bekannt, das gesamte Personal kommt zur klaren Erkenntnis: „L’uom è nato burlone“ – alle Menschen sind Narren.
Johannes Weigand inszeniert den Falstaff federleicht dahinperlend, stellt das Fortlaufen der Handlung ins Zentrum, betont das Boulevardhafte, greift mitunter auch mal zu etwas derberer Komik - nie übertrieben oder aufdringlich, sondern richtig amüsant. Zugunsten dieses Konzepts verzichtet die Regie allerdings auf detaillierte Figurenausdeutung. Und so bleiben Gefühle wie Wehmut auf der Strecke, die Verdi und sein Librettist Arrigo Boito sicher auch angelegt haben. Das ist vielleicht schade, wäre mit Weigands Sichtweise aber auch nur schwer zu verbinden gewesen.
Gespielt wird im Teo Otto-Theater in Remscheid, einem wundervoll restaurierten, mit 679 Plätzen nicht eben kleinen Haus aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, benannt nach dem in Remscheid geborenen Theatermann Teo Otto, der vor allem viel mit Bertolt Brecht zusammen gearbeitet hat. Seit der Spielzeit 2004/2005 sind die Wuppertaler Bühnen regelmäßig mit je einer Premiere aus dem Bereich Schauspiel, Oper/Operette zu Gast in der Nachbarstadt.
Verdis komplexe, vielschichtige Musik trifft auf kompetente Interpreten. Da ist der Wuppertaler Opernchor unter Jens Bingert, der mit viel Freude und Lebendigkeit agiert. Und da sind durchweg souveräne Solisten: Stephan Boving verleiht dem armen Dr. Cajus mit seinem charakteristischen, hellen Tenor prägnante Statur, Ralf Rachbauer und Thomas Schubert verkörpern Falstaffs abtrünnige Freunde Bardolfo und Pistola so raubeinig, wie man es sich nur wünschen kann. Ein ganz bezauberndes Liebespaar geben Dorothea Brandt als Nannetta und Boris Leisenheimer als Fenton. Sie sind nicht nur einfach liebesselig, sondern stürzen sich mit funkensprühenden Duetten in die Intrigen, um ihre gemeinsame Zukunft zu sichern. Die dunklen Stimmen von Diane Pilcher als Mrs. Quickly und – mit urkomischem Talent - Josyln Rechter als Meg Page legen in den vielen Ensembles den Grund für die flirrende Welt der Täuschungen. Banu Böke ist auch stimmlich eine überaus quirlige, im Handumdrehen Gedankenfäden spinnende Alice Ford, die alles in der Hand hält und ihren Gatten letztlich ganz schön alt aussehen lässt. Thomas Laske singt ihn, den Ford, der vor Eifersucht rast und doch erkennen muss, dass genau sie blind macht, mit ausgeglichenem Bariton. Und Falstaff? Kiril Manolov beherrscht gravitätisch die Szene und verströmt so viel Würde und Eleganz, dass er sich am Ende mit allen gemeinsam auf eine Stufe stellen kann, um über sich selbst kräftig zu lachen.
Dirigent Peter Kuhn und die Bergischen Symphoniker profilieren sich durch genaues und konzentriertes Umsetzen der Partitur. Die ist bei ihnen in den allerbesten Händen. Nichts geht da an Details verloren, präsent sind all die fein gewobenen Klänge, perfekt ist die Abstimmung zwischen Bühne und Orchestergraben, vor allem auch in den zahllosen Ensembles, mit denen Verdi in seiner letzten Oper noch einmal seine ganze Meisterschaft beweist. Der Funken schlägt unmittelbar über ins Publikum, da ist lustvolles Miterleben angesagt. Und so ist der große Applaus mehr als verdient.