In postromantischer Manier
„Es waren zwei Königskinder, die konnten zusammen nicht kommen…“ - mit dieser Volksliedzeile ließe sich auf die Protagonisten von Franz Schrekers Der ferne Klang anspielen. Grete und Fritz trennt kein tiefes Wasser, aber ein tiefer Unterschied in der Lebensauffassung, welcher ein wirkliches Blühen ihrer Liebe verhindert. Komponist Fritz, romantischer Träumer, auf der Suche nach einem „fernen Klang“ - das aus ihm entstehende Erfolgswerk soll ihm den Weg zu Grete bahnen, aber auch, und vielleicht noch mehr, sein künstlerischen Ego befriedigen. Grete, jung, lebens- und liebeshungrig, bewundert den Musiker, begehrt aber vordringlich den Mann. Als Fritz in die Welt hinausflieht, wird ihr der Wald, in dem sie eigentlich den Tod sucht, zum pantheistischen Erosquell. Das rettet zwar ihr Leben, nicht aber ihre wahre Existenz. Die Verlassene wird zur Edelhure. Im einschlägigen Etablissement taucht eines Tages Fritz auf, von seiner Suche nach dem Kunstideal ernüchtert. Das Wiedersehen mit Grete euphorisiert ihn, bis er erkennt, dass sie eine „Gefallene“ ist. Zwar finden beide zuletzt wieder zueinander, doch dass Grete im Grunde den „fernen Klang“ personifiziert, verkennt er selbst noch im Sterben.
Das Schlussbild bündelt wirkungsvoll sämtliche kompositorischen Kräfte des Klangmagiers Schreker, von dieser Musik wird man förmlich aufgesogen (Adorno hat über sie gegiftet). Sie lässt nachvollziehen, dass man ihn einst fast stärker bewunderte als Richard Strauss. Dann aber wurde er ein Opfer des Nationalsozialismus, ein Schicksal, welches nach Ende des Krieges nur langsam korrigiert wurde. Heute stehen die Zeichen wieder relativ gut, dennoch bleiben Schreker-Aufführungen immer noch besondere Ereignisse. Bonn dankt man nach Irrelohe (die Aufführung von 2010 erschien auf CD) nun eine neue, weitgehend erfolgreiche Kraftanstrengung. Will Humburg mit seinem präzise formenden, dennoch exstatischen Dirigat ist dabei ein besonders intensiver Vermittler. Klaus Weises Inszenierung heizt sich in ihrem üppigen Dekor erst langsam auf. Der erste Akt wirkt einigermaßen unentschlossen, der zweite show-überfrachtet, theatralisch allerdings sehr attraktiv, unter anderem durch Einbeziehung des Zuschauerraumes. Im kammerspielartigen Finalbild kommen dann die Stärken des Regisseurs wirklich zum Tragen: emotionale Detailpsychologisierung.
Ingeborg Greiners sicher nicht eigentlich „schöner“ Sopran umreißt die Figur Gretes mit großer Expressivität. In der Premiere konnteMichael Putsch seine Partie erkältungsbedingt nur (sehr ausdrucksvoll) spielen, die verschwundene Stimme ersetzte Mathias Schulz von der Podiumsseite aus, bei klarem, in der Höhe nur etwas gepresstem Timbre. Persönlichkeiten von Gewicht sind Renatus Mészár (Dr. Vigilius/“Graf“) und Franz van Hove (Wirt/“Baron“). Das „alte Weib“ von Anjara I. Bartz bleibt, bei überzeugendem Gesang, als Figur einigermaßen anonym. Die weiteren Bordelldamen Julia Kamenik, Kathrin Leidig und Emiliya Ivanova bieten gute Stimme und gute Figur; der Opernchor profiliert sich nachdrücklich. Bonns stark akklamiertes Engagement für Schreker wird hoffentlich Folgen haben.