Grandios gesungen
Norma ist eine gewaltige Herausforderung für jedes Haus und jedes Regieteam. Die Titelpartie ist unerhört anspruchsvoll und die Musik bietet herrliche Melodien aber wenig Oberflächenreize. Das Sujet lädt vordergründig zur Aktualisierung, etwa zur Imperialismus- und/oder Religionskritik ein, aber die Dramaturgie des Stückes erscheint fragil, aus heutiger Sicht geradezu introvertiert.
In seiner ersten Operninszenierung lässt Enrico Lübbe Norma in heutigen Kostümen spielen, konzentriert sich aber ganz auf die Titelfigur. Politisches schwingt allenfalls im Subtext mit. Diese Norma ist in sich gefangen, zerrissen zwischen ihren Rollen als Priesterin, Mutter und Frau. Wie ein Provisorium läuft sie über die Bühne, wie eine Schauspielerin in der Garderobe, allzeit bereit, wenn das Stichwort kommt. Dann wirft sie eine pseudomodische Perücke über und posiert rituell als Society-Domina im Pelzmantel. Der Ansatz überzeugt und wird durch die Musik gestützt. Das Duett mit Adalgisa im zweiten Akt, der spannendste Moment der Inszenierung, zeigt deutlich die Konfrontation zwischen einer jungen Frau, die nur für sich selbst Verantwortung trägt und Norma, die immer zuerst an ihr Volk, dann an ihre Kinder, zuletzt an sich zu denken hat. Es kommt nicht zur Umarmung, nicht einmal zum Körperkontakt. Norma kann einfach nicht aus sich heraus. Erst am Ende, wenn sie sich zum Sterben entschlossen hat, steht sie auf einmal als schöne Frau vor uns.
Im Gegensatz zu dieser packenden Charakterzeichnung sind die Männerfiguren auf einheitliche Mimik – der Vater Oroveso unerbittlich und überfordert, der Geliebte Pollione arrogant und gegen Ende etwas weinerlich – fest gelegt und müssen rollenunspezifische, nicht mal besonders gut aussehende Kostüme tragen. Der Chor wird als eine Art gewaltbereite Business-Guerilla gezeigt. Auch hier ist eine Verbindung der Kostüme von Bianca Deigner mit dem Stück nicht leicht herzustellen.
Die musikalische Seite der Produktion ist durch und durch erfreulich. Motonori Kobayashi lässt die hervorragenden Dortmunder Philharmoniker weich und präzise musizieren, ausgehend von einem sämigen, aber nie klumpigen Streicherklang, der wunderbar von den Holzbläsern überglänzt wird. Wenn etwas fehlt, dann vielleicht hier und da etwas mehr Leidenschaft. Das gilt auch für den resonanten Dortmunder Opernchor. Julia Amos und Lucian Krasnec lassen in den kleinen Rollen klangschöne und frische Stimmen hören. Wen Wei Zhang gestaltet den Oroveso mit so profundem wie biegsamem Bass, gelegentlich eine Spur monochrom. Mikhail Vekua ist stimmlich hörbar bei Tschaikowsky und Puccini zuhause, bleibt dem Pollione aber fast nichts schuldig. Die Stimme hat echte italianitá und wird nur gelegentlich etwas druckvoll geführt. Die Adalgisa singt Katharina Peetz mit berührender Natürlichkeit, etwas offener Tongebung und großer Ausdrucksintensität.
Miriam Clark in der Titelrolle ist eine wirkliche Entdeckung. Sie hat nicht nur die Kraft und die Kondition für die Rolle, sondern auch den Mut, ihren bruchlos geführten, dunkel glühenden Sopran nie zu forcieren. Sie artikuliert klar, singt ausdrucksvolle Koloraturen und verfügt über ein hinreißendes Legato. Vieles singt sie innig, verinnerlicht, wie für sich selbst, lässt das Publikum in Normas wunde Seele schauen und beglaubigt damit auch den Ansatz ihres Regisseurs. Einfach toll!
Dass an diesem Abend dennoch vieles matt wirkt, fast emotionslos, liegt am Bühnenbild von Henrik Ahr. Eine Art entkernte Aula hat er auf die Bühne gestellt, nur mit Stapelstühlen ausgestattet. Der Rohbau eines Verwaltungsgebäudes könnte das sein, oder die Ruine, das Provisorium eines Sakralbaus. Links vorne in einer profanen Sakristei zieht sich Norma um, schlafen ihre Kinder. Dieser ortlose, atmosphärelose Raum legt sich wie ein Dämpfer auf Spiel und Gesang. Die Gefühle kommen nicht durch, das Verhandeln von Ritualen wirkt hier lächerlich, die Hinrichtung des Paares durch Übergießen mit Benzin unzulässig verkleinert. Schade!