Aufgewertet
Die „großen“ Opern Mozarts darf man inzwischen von fünf auf sieben aufgerundet sehen, nachdem der Rang von Idomeneo und La Clemenza di Tito anerkannt wurde, ohne dass die Werke auch wirklich von jedermann heiß geliebt würden. Doch sei an den steinigen Rezeptionsweg von Cosi fan tutte erinnert. Im Falle von La Finta Giardiniera sollte man die relativ enge Premierenfolge Bonn/Wuppertal nicht überbewerten, aber auch bei diesem „dramma giocoso“ scheint einiges im Aufbruch. Das Libretto Giuseppe Petrosellinis ist sicher „weder dramaturgisch noch sprachlich in einem ausgereiften Zustand“ (so der Bonner Regisseur Philipp Himmelmann), aber in keiner Mozart-Oper wird so „zielstrebig auf den Zustand des Wahnsinns hingearbeitet“ (Tilman Hecker in Wuppertal), auch wenn er in manchen Szenen nur latent wirkt. Die Musik des noch nicht 20jährigen Komponisten lässt deutlich spüren, dass sie von schematischen Buffomustern wegstrebt (in Wuppertal unterstrichen durch den Verzicht auf die Mehrsprachen-Arie des Nardo/Roberto „Con un vezzo all’Italiana“), hingegen in die seelische Befindlichkeit der Figuren hinein lauscht. Da tut sich – pathetisch gesagt – manches Wunder auf. Erfreulich, wie unter der sensiblen Leitung Florian Franneks das Sinfonieorchester Wuppertal einen feinsinnigen und dennoch bestimmten Mozart-Klang zu realisieren imstande ist.
Die Inszenierung Tilman Heckers wirkt inspiriert und intelligent, auch wenn ein Teil des Premierenpublikums dies nicht nachzuvollziehen gewillt war. Ob die immer wieder eingeblendeten Videopassagen, welche zurückliegende Vorgänge auf die aktuelle Handlung projizieren, wirklich Entscheidendes zur Erhellung verzwickter Situationen beitragen, bleibe einmal dahin gestellt. Aber das Verschwimmen von Zeitebenen, das Entgrenzen emotionaler Vorgänge besitzt starke atmosphärische Qualität. Hinzu kommt, dass der Regisseur den eigentlichen Handlungsablauf durch Bewegungsstillstände, Symbolgesten oder auch Beleuchtungswechsel einer allzu festlegenden, einengenden Psychologisierung entzieht. Man fragt denn auch nicht akribisch danach, was den Mordversuch Belfiores an Violante (später Sandrina) letztlich auslöste. Wenn das Paar nach einer fast qualvollen emotionalen Odyssee wieder zueinander gefunden hat, deutet die Pistole in Belfiores Hand an, dass Entsetzliches durchaus wieder geschehen könnte. Gleichzeitig wird die konventionelle Paarfindung der anderen Personen (nur der Podestà bleibt solo, kaum aus Vergnügen) ein schwerlastiges Fragezeichen übergestülpt. Die sich in einem mit Treppe, Tür u.a. ausreichend lokalisierten, mobilen Raum abspulende Inszenierung mit schönen, zeitunabhängigen Kostümen Lisa Kentners gibt ein sehr viel anderes Verwirrspiel ab als Himmelmanns Bonner Arbeit, welche die Protagonisten ständig durch ein mehrstöckiges, nach vorne offene Quadergebäude turnen lässt. Doch beiden Aufführungen gelingt etwas sehr Wichtiges, ja Exemplarisches, nämlich die Aufwertung eines in seinem Urzustand noch nicht vollgültigen Werkes hin zu einer auch dem Heute standhaltenden Verbindlichkeit.
Eine eher äußerliche Parallele besteht darin, dass die Figur des Podestà sängerisch bedenklich ausgeführt wird (in Wuppertal: Boris Leisenheimer), dass aber Susanne Blattert den Ramiro an beiden Spielstätten mit sängerischem und darstellerischem Nachdruck präsentiert. Banu Böke (Violante/Sandrina) ist nach kleinen Tiefs in letzter Zeit wieder überzeugend, ebenso Christian Sturm (Belfiore). Als Arminda, welche in Wuppertal ihre Rivalin echten Folterqualen aussetzt, überzeugt Arantza Ezenarro mit einer schlanken, aber doch schon ins Dramatische tendierenden Stimme, in der man bereits eine Donna Elvira hört. Spritzig und kess gibt Julia Klein die Serpetta. Bei Nardo/Roberto muss sich Miljan Milovic mit dem erwähnten Arien-Strich abfinden, darf aber die ironischen Momente der Inszenierung durch Auftritte als weirauchschwingender Priester akzentuieren.