Russisch Roulette
Gemusterte Wohnzimmertapeten in abgestuften Brauntönen, ein Couchtisch auf Chromgestell, Wetterstation und Zierschmetterling an der Wand, dazu orangefarbene Kacheln in der Küche – wir sind mitten in den Siebziger Jahren! Larina hat es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, lebt in einem ansehnlichen, aber etwas heruntergekommen Bungalow. Oder ist sie doch die Chefin einer Kolchose? Jedenfalls brennen die Arbeiter ihren eigenen Wodka, trinken Bier aus Alubüchsen, und die Kartoffel schälenden Frauen sind alles andere als feine Leute. Kein Wunder also, dass sich Eugen Onegin in dieser Gesellschaft nicht gerade pudelwohl fühlt.
Denn in Michael Sturmingers Inszenierung wirkt Onegin wie das Zitat eines Großbürgers aus dem späten 19. Jahrhundert. Und hat deshalb eigentlich nur Verachtung übrig für das mediokre Milieu, in das ihn sein Freund Lenski hineingeschleppt hat. Und dann noch die lästige Schwärmerei des Mädchens Tatjana. Das ist zuviel für den überheblichen Onegin, der die Ernsthaftigkeit Tatjanas nicht bemerkt. Gelangweilt lässt er sich auf einen Flirt ein mit Olga, Lenskis Freundin. Aus dem Duell der Beiden lässt Sturminger ein russisches Roulette werden. Lenski muss nicht auf einem Feld verbluten, sondern wird ins Haus geschleppt. An dieser Stelle gelingt auch der einzige emotionale Höhepunkt der Inszenierung: Wenn sich Olga auf den aus einer Kopfwunde blutenden Lenski stürzt, ist das wirklich anrührend.
Zu sehen gibt es auf der riesig breiten Aalto-Bühne jede Menge. Die Hebebühnen werden gezielt und gekonnt eingesetzt. Auch für Tatjanas Jugendzimmer, in dem sie ihren Liebesbrief schreibt. Das ist - mit Postern an den Wänden, Aufklebern am Schreibtisch - wie die ganze Bühne detailverliebt ausgestattet von Andreas Donhauser und Renate Martin.
Handwerklich ist dieser Eugen Onegin tadellos, auch hinsichtlich der Personenführung in den großen Ensemble-Szenen. Und dennoch: so richtig packend ist das nicht, was da drei Stunden lang erzählt wird. Auch und gerade nicht der dritte Akt: da werden all’ die Worte von Liebe und Entsagung nicht wirklich beglaubigt, rieseln eher zu Boden wie der unvermeidliche Bühnenschnee.
Die Essener Philharmoniker, von Srboljub Dinic geleitet, verströmen lyrischen Schmelz, in den Streichern nicht weniger als im Holz. Wo es kraftvoll zugehen könnte, vor allem im dritten Akt, verordnet Dinic dem Orchester gezügeltes Pathos. Sein musikalischer Ansatz bleibt ziemlich pauschal. Alexander Eberles Chor dagegen glänzt wie immer.
Das Essener Solistenensemble vermag die kleinen Rollen natürlich perfekt zu besetzen. Marie-Helen Joël als resolute Mutter ist ebenso sicher wie Ildiko Szönyi als besorgte Filipjewna. Auch Günter Kiefer als Saretzki, Michael Kunze als Hauptmann und Albrecht Kludszuweit als eitler Triquet machen eine gute Figur.
Anja Schlossers schöner Mezzo gibt der etwas leichtsinnigen Olga markante Kontur, Zurab Zurabishvilis Lenski wirkt manchmal angestrengt und etwas eng. Roman Astakhov als Fürst Gremin singt sein Loblied auf die Liebe mit viel Würde. Heiko Trinsingers Onegin bleibt, obwohl schön und ausdrucksvoll gesungen, darstellerisch etwas blass. Das unstete Wesen ist da kaum zu spüren. Tatjana ist Victoria Yastrebova. Ihr ebenmäßiger Sopran meistert auch die Briefszene perfekt, bleibt emotional aber auch eher neutral.
Insgesamt ist die szenische und auch musikalische Energie, die den Funken zum Überspringen brächte, am Premierenabend noch nicht recht in Sicht. Das empfindet wohl auch das Publikum und applaudiert freundlich, aber nicht überschäumend.