Primadonna assoluta
Vor kurzem wurde ein Wiener Mitschnitt von Verdis Traviata aus dem Jahre 1971 veröffentlicht (Dirigent. Josef Krips – mit Ileana Cotrubas, Nicolai Gedda, Cornell MacNeill). In der Minirolle der Flora wirkt eine gewisse Edita Gruberova mit. Was einem heute nachgerade lachhaft vorkommt, war in jenen Jahren frustrierender Opernalltag für die zwar hochgelobte, aber nur minderwertig beschäftigte Sopranistin aus der Slowakei. Die Wende kam mit einer Neuinszenierung der Ariadne auf Naxos von Richard Strauss, dirigiert von Karl Böhm. Ein letztes Mal sang Edita Gruberova, Jahrgang 1946, ihre nunmehrige Paraderolle 2009 an der Wiener Staatsoper. In diesem Jahr war sie auch wieder einmal in Köln zu Gast („Fest der schönen Stimmen“ – Szenen aus Donizettis Königinnen-Opern); die Oper glich damals einem Tollhaus. Rückkehr nun mit Vincenzo Bellinis Norma.
Auch wenn man Norma hierzulande in gleich zwei Bühnenproduktionen erleben kann (in Krefeld und Dortmund), ist die Kölner Entscheidung für konzertante Aufführungen absolut legitim. Man realisierte bei dieser Gelegenheit nicht zuletzt, dass Bellini auch suggestiv für das Orchester zu schreiben verstand. Sicher gibt es manch Floskelhaftes wie die arpeggierten Dreiklänge als Begleitung für „Casta Diva“, doch immer wieder auch dramatische Impulsivität, harmonische Überraschungen. In Köln machte das der Dirigent Andriy Yurkevych mit vehementen Attacken, emotionaler Intensität und der Herausarbeitung instrumentaler Finessen faszinierend deutlich. Schon 2009 war er in Berlin Edita Gruberovas Partner bei Norma-Aufführungen. Jetzt stand ihm das tadellose Gürzenich-Orchester zur Verfügung.
Der Sopranistin ist zunächst kniefällig zu bestätigen, dass sie zu den Stimmphänomenen der Gegenwart zu zählen ist, dass sie sich mit technischer Disziplin und kluger Selbsteinschätzung noch immer auf einsamer Höhe hält. Das Messa di voce, überhaupt die Pianissimo-Qualitäten finden bei ihr singuläre Erfüllung. Nach Joan Sutherland die „Stupenda“, blättert sie immer wieder neu „ein Kompendium des Gesangskunst auf“. Dieses absolut zutreffende Kompliment einer Berliner Tageszeitung könnte man freilich auch etwas ins Kritische wenden. Edita Gruberova führte in Köln ihr reiches Belcanto-Vermögen mitunter ziemlich demonstrativ vor, wagte freilich auch fahle, brustige Töne, wenn Normas seelische Verletzungen zutage treten. Das wirkte schon mal etwas aufgesetzt und wurde nicht durch jenes Leidenscharisma kompensiert, über welches eine Maria Callas (die Fatalität dieses Vergleiches sofort eingestanden) verfügte. Aber die junge Regina Richter (in Köln zuletzt ein superber Ariadne-Komponist) führte als Adalgisa vor, wie vokale „Geradlinigkeit“ nicht notwendigerweise Ausdrucksdefizit bedeutet. Eine außerordentliche Leistung. Zoran Todorovich gefiel als Pollione, tendenziell ein maskuliner Sänger à la Mario del Monaco, bei aller Entflammtheit aber doch differenziert. Auch der Oroveso von Nikolay Didenko war ein vokal kultiviertes Porträt. Angenehme Comprimarii: Machiko Obata (Clotilde) und Jeongki Cho (Flavio).
Edita Gruberovas künftige Auftritte werden besonderer Aufmerksamkeit sicher sein. Das von ihr vertretene Repertoire ist für eine Sängerin vorgerückten Alters (Pardon für diesen uncharmanten Hinweis) nicht endlos konservierbar. Die Kölner Operngourmets dürfen sich umso glücklicher schätzen, die große Künstlerin noch einmal mit einer exorbitanten Leistung erlebt zu haben.