Ohne szenische Aussage
Die Oper Lakmé von Léo Delibes setzt man in der Regel auf den Spielplan, wenn eine exquisite Koloratursopranistin zur Stelle ist. In Bonn plante man die Produktion vermutlich für Julia Novikova, die jedoch in der letzten Spielzeit mit Vincenzo Bellinis Sonnambula ihren definitiven Abschied vom Haus gab, dessen Ensemble sie für mehrere Jahre angehörte. Jetzt verfügt man über die 32jährige Deutsch-Amerikanerin Miriam Clark (Alternativbesetzung: Aleksandra Kubas von der Breslauer Oper), als Mozarts Königin der Nacht schon weit herumgekommen. In Dortmund verkörperte sie jüngst Bellinis Norma. Miriam Clark verfügt über eine mädchenhafte, höhensichere, auch im Pianissimo gut tragende Stimme, bestens geeignet für die oft so zart gesponnene, schwärmerische, leicht parfümierte Musik von Délibes. Die Solo- und Zwiegesänge der Titelheldin und ihres Geliebten Gérald, grundiert von einem lieblichen Orchesterteppich, gehören zu den schönsten Eingebungen des 1883 uraufgeführten Werkes. Sie profitieren auch von dem rumänischen Tenor Alexandru Badea, vom vokalen Naturell her lyrisch, aber doch expansiv, vor allem in der Höhe, die er so leicht zu nehmen versteht wie beispielsweis Alaine Vanzo in der Plattenaufnahme mit Joan Sutherland.
Die Idee zu Lakmé entstand unter anderem durch die Lektüre von Erzählungen, in denen Pierre Loti (Pseudonym) die Liebe zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen schildert. Auch Meyerbeers Afrikanerin oder auch Puccinis Madama Butterfly haben diese Konstellation aufgegriffen. Der Schauplatz Indien könnte von Bizets Perlenfischern mit beeinflusst worden sein, eine Oper, welche Délibes als Produktionsbeteiligter intensiv kennenlernte. Zur Tragik Puccinis dringt Lakmé freilich nicht vor, auch wenn das Werk durchaus gesellschaftskritisch akzentuiert ist (Kolonialmacht England). Da gäbe es für eine heutige Inszenierung also nachzuarbeiten.
Die Bonner Aufführung (Kooperation mit Metz) leistet das nicht. Paul-Emile Fourny beschränkt sich auf symmetrische Bildwirkungen und üppige Tableaus. Viele Einfälle sind an Beliebigkeit und Banalität kaum zu überbieten. Unsäglich die Chorführung, die Balletteinlagen des 2. Aktes. Benoits Dugardyns Bühnenbild (dekorativ durchbrochene Wände) besitzt einige Ausstrahlung, vor allem bei mitternachtsblauer Beleuchtung wie im Finalbild. Auch die Kostüme Giovanna Fiorentinis sind malerisch.
Dass es bei Lakmé um ein Drama jenseits salonhafter Erzählkonturen geht, macht immerhin Dirigent Stefan Blunier deutlich. Der Beginn wirkt zwar noch etwas grob, doch später gewinnt das Spiel des Beethoven Orchesters Bonn an Rundung, an fluoriszierender Wirkung. Renatus Mészár als religionsfanatischer Nilakantha komplettiert das Protagonisten-Trio mit seinem ausladenden Bariton denkbar günstig. Bei allen genannten Sängern spürt man, dass sie darstellerisch stärker zu fordern gewesen wären. Einiges Leben eignet den Auftritten der englischen Touristen: Anjara I. Bartz (Mrs. Bentson), Julia Kamenik (Ellen), Charlotte Quadt (Rose) und Giorgos Kanaris (Frédéric). Die sichtbare Schwangerschaft von Kathrin Leidig (schöne Mallika-Kantilenen) ist kein Regieeinfall. Carles Prats Hadji gefällt. Hohes Ensemble-Niveau also. Ein Aufbegehren des Publikums gegen den Regie-Infantilismus wäre freilich rechtens und notwendig gewesen. Aber die Bonner murren selten.