Inszenatorisch etwas schwach gewürzt
Volker Klotz hat die Operette als eine „unerhörte Kunst“ bezeichnet, in seinem nach wie vor maßstäblichen Handbuch freilich eine Reihe von Werken ausgelassen, welche den ursprünglichen Geist des Genres ignorieren und die Welt lediglich beschönigend mit einer „rosaroten Brille“ (Schröders Hochzeitsnacht im Paradies) auf der Nase „durch’s Champagnerglas“ (Kálmáns Zirkusprinzessin) betrachten. Ob Johann Strauß mit dem kessen Jacques Offenbach grundsätzlich wirklich gleichzieht, so dass man wie Marcel Prawy in seiner Musik einen „Tanz auf dem Vulkan“ spürt, mag dahin gestellt bleiben. Außer Zweifel stehen sollte allerdings, dass man seinen Werken, der Fledermaus zumal, einen gesellschaftskritischen, politischen Hintergrund aninszenieren und damit auch die Wirkung der Musik verschärfen kann. Der Wiener Börsenkrach von 1873 ist aus der Entstehungsgeschichte der Fledermaus im Nachhinein einfach nicht mehr zu streichen. Dass Strauß bewusst auf ihn anspielt, ist aber auch vorstellbar, denn viele seiner Polkas, Mazurken und Walzer reflektieren Tagesereignisse.
In Mönchengladbach geht die stärkste Wirkung von Günter Hellwegs Bühnenbild aus. Das noble Interieur des Eisenstein-Hauses, mit einer rückwärtigen Spiegelwand zum Orlofsky-Palais erweitert und so fast ein wenig ins Irreale geweitet, wird von einem ständig rotierenden Kreissegment mit penibel geordneten Sektflaschen bestimmt. Im Mittelakt schwebt es in der Luft und bildet mit weiteren, von innen leuchtenden Flaschen einen regelrechten Champagner-Himmel. Zu Boden gesenkt (gestürzt könnte man auch sagen) suggeriert es im Gefängnis-Finale die angemessene Katerstimmung. Die Welt im ständigen Suff („Glücklich ist, wer vergisst“).
Dem wäre nun also eine adäquate Inszenierung hinzuzufügen gewesen. Aber eine klassische Operette ist, will man sie nicht von vorneherein auf den Kopf stellen, schon doch etwas anderes als musical-nahe Stücke, welche Reinhardt Friese bislang am Niederrheinischen Gemeinschaftstheater erarbeitet hat. Vor allem an der statischen Chorführung lassen sich die Grenzen des Regisseurs ablesen. Er bringt sicher Leben und einige Pikanterien auf die Szene, allerdings ohne besondere individuelle Akzente. Manche Dialogwitze wirken mittlerweile ohnehin ein wenig ausgelaugt. In der Frosch-Szene (Intendant Michael Grosse gibt sich höchstpersönlich die Ehre) wird etwas mühsam und isoliert gekalauert: nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten seien wir jetzt alle „Gau(c)kler“. Andreas Fellner dirigiert flott, an einigen Stellen aber auch sängergefährlich gedehnt. Das Orchester ist natürlich kein genuiner Botschafter für Wiener Musik; gleichwohl allen Respekt.
Zu den eindrucksvollsten Sängern gehören die Vertreter des Baritonfaches. Tobias Scharfenberger gibt dem Falke scharfzüngige Eleganz, Matthias Wippich dem Frank rustikale Fülle. Zu den dienstältesten Ensemblemitgliedern gehört Walter Planté, früher Ferrando oder Hoffmann, jetzt ein köstlich chargierender Blind. Auch die ungemein spielfreudige Debra Hays bleibt unentbehrlich. Im 1. Akt braucht sie für ihre Adele stimmlich zwar einen erheblichen Anlauf, ist danach aber entzückend. Susanne Seefing (Orlofsky) gefällt, obwohl von der Regie mit keiner besonderen Rollenphysiognomie versehen, Janet Bartolova (Rosalinde) trotz Personality-Qualitäten schon weniger. Und die Tenöre? Michael Siemons (Eisenstein): ein netter, etwas pausbäckiger Sunnyboy, dessen stimmliche Reichweite noch nicht ganz abzuschätzen ist. Hauke Möller (Alfred): ein nicht mehr ganz taufrischer, aber bühnenfüllender Charmeur; die näselnde, in der Höhe verengte Stimme hat sich seit seinen Kölner Jahren nicht verändert. Das Ballett kommt mit Unter Donner und Blitz sowie dem Banditen-Galopp recht witzig zum Zuge. Netter Einfall übrigens, die Tänzer am Umbau zum Finalbild zu beteiligen.