Von Maschinen und Menschen
La fabbrica illuminata von Luigi Nono, Der Tribun von Maurizio Kagel, Coming Together von Frederic Rzewski. Drei kurze Stücke, alle etwa 40 Jahre alt, alle eminent – und sehr direkt – politisch gedacht. Viele Jahre lang hat das deutsche Musiktheater Stücke mit derart konkretem Impuls nur in Ausnahmefällen angepackt. Es fehlte sowohl der Glaube an die Wirksamkeit des politischen Statements von der Opernbühne als auch die Notwendigkeit sich zu äußern. Jetzt, in Zeiten von Demokratie- und Finanzkrisen, scheint sich dieses wieder zu ändern.
In Herrschaft, Arbeit und Soziales in Wuppertal sucht man die zum Kampf erhobene Faust allerdings vergebens. Mit der Wahl des Aufführungsortes, dem „Historischen Zentrum“ betont der Regisseur Markus Höller sowohl die historische Perspektive als auch den Blick von unten. Als Foyer dient ein Raum des Museums, der mechanische Apparaturen aus Eisen zeigt. Man ahnt, dass sie geschaffen wurden, um menschliche Arbeitskraft effektiv zu machen, zu entindividualisieren. Man ahnt nicht, wie. Die Zuschauer steigen eine Treppe hoch in einen Raum mit Betonfußboden und Betonwänden. Töne klingen aus einem Oktogon von Stellwänden und darum herum. Fabbrica illuminata beklagt poetisch die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik in den 60erJahren. Aus Lautsprechern erklingt Nonos Originalcollage aus Fabrikgeräuschen und Chorgesängen. Die hinreißend singende Sopranistin Dorothea Brandt schiebt die Stellwände weg, wird sichtbar als von Kabeln behangen, abhängig von einem Lichtbaum aus Metall in der Mitte. Das Individuum erscheint als gehemmt, ja, beherrscht von der Maschine.
Die Zuschauer gehen in den Raum hinein und setzen sich. Der Bariton Olaf Haye spricht den taufrischen Text von Mauricio Kagels fast 40 Jahre altem Tribun, der eine Rede einübt. Aber er steht nicht, wie in den Regieanweisungen, abends allein auf einem riesigen Platz als Parodie der Diktatoren „alten Schule“. Haye sitzt an einem überdimensionierten Schreibtisch, umgeben von Kameras, Mikrophonen und Projektionsflächen und arbeitet an seinem Ego und seiner Medienwirksamkeit. Es entsteht kein Monsterpopanz, sondern ein sattes, unersättliches, aber charmantes mediengeiles Bürschchen irgendwo zwischen Berlusconi, Sigmar Gabriel und Daniel Bahr, ganz heutig und vielfach gespiegelt. Olaf Haye serviert Kagels Pointen glänzend aus dieser Medienmaschine heraus, unterstützt von Kagels 10 Märschen, um den Sieg zu verfehlen, vorab eingespielt von den Wuppertaler Symphonikern.
In Rzewskis Coming together übernimmt dann die Musik selbst die Rolle der Maschine. Der Schauspieler Gregor Henze spricht den fragmentierten Brief eines Strafgefangenen in einem US-Gefängnis, der hinterher bei einer gewaltlosen Revolte erschossen wurde. Die vielen Wiederholungen in Text und Musik spiegeln die Öde und Unmenschlichkeit der Haft und legen die Aggressionspotenziale offen. Das Stück wird – am Ende des kurzen Abends und des Raumes – konzertant aufgeführt. Die Dirigentin Eva Caspari und die neun Musiker leisten Hervorragendes, Gregor Henze verfranst sich nie in den Sprachpartikeln des englischen Textes und behält stets seine Haltung. Anders als in den ersten beiden Stücken herrscht eine Atmosphäre völliger Hoffnungslosigkeit, die vielleicht den Regisseur bewogen haben mag, das Stück konzertant spielen zu lassen.
Herrschaft, Arbeit und Soziales überzeugt durch Entdeckergeist, Haltung und große Musikalität. Das dramaturgische Netz scheint zwar etwas weitmaschig geknüpft, aber die Qualität der einzelnen Stücke ist bezwingend. Ein mutiger Versuch mit lebendigem Material aus einer lange vernachlässigten Zeit, dem hoffentlich – und nicht nur in Wuppertal – weitere folgen werden.