Il Trovatore im Oper Bonn

Auf schlüssige Weise grausam

Das ist doch auch etwas Schönes: beim Premierenapplaus des Bonner Trovatore kamen sowohl der Dirigent als auch das Produktionsteam von alleine auf die Bühne. Sie wurden also nicht von der Sängerprotagonistin zum Auftritt „überredet“. Zu beklatschen gab es freilich viel. Auf der musikalischen Seite Robin Engelens impulsives, gleichzeitig detailsensibles Dirigat sowie das exzellente Sängerensemble. Eingedenk des Bonmots, demzufolge der Erfolg einer Trovatore-Aufführung alleine schon durch die Besetzung der vier Hauptpartien durch exzellente Sänger garantiert sei, darf einmal mit den Vokalleistungen begonnen werden.

Der ausladende, dabei immer geschmeidige Azucena-Mezzo der Deutsch-Griechin Chariklia Mavropoulou frappiert besonders, George Onianis festgefügter Spinto-Tenor ist bei Manricos Stretta enorm „C“-sicher, außerdem besticht der Sänger mit schönen Piano-Phrasen. Der ausdrucksvolle, immer noch primär lyrische Sopran Irina Okninas (auch von der Körpererscheinung her eine schlanke Leonora) erfreut ebenso wie Mark Morouses markanter Belcanto-Bariton (Luna) und der erzene Bass von Ramaz Chikviladze (Ferrando). Eine derart hochkarätige Sängerriege ist für ein Haus der Größenordnung Bonns keineswegs selbstverständlich. Am Gesang des verdienten und wie immer spielfreudigen Mark Rosenthal (Ruiz) hat man allerdings keine rechte Freude mehr.

Wie bringt man die romantische Horrorstory des Trovatore, die Verdi so nachhaltig entflammte, die aber einem heutigen Publikum ungefiltert kaum noch zuzumuten ist, auf die Bühne? Wer es beim Malerischen belässt, kommt fraglos immer irgendwie an, doch dem Werk widerfährt damit keine Gerechtigkeit. Auch Dietrich Hilsdorf stößt hier und da an Grenzen. Aber er ist so clever, auch so rücksichtsvoll, den Sängern bei Arien und anderen vokalen Kulminationsmomenten Entspanntheit und Ruhe zu gönnen, sie nicht in Bewegungshektik oder unsinnige Aktion zu treiben. Verlegene Stillstände ergeben sich dadurch nicht, denn der Regisseur versteht es seit jeher, eine vorgegebene Handlung bildlogisch und dramatisch stimmig aufzubauen. Eher tut er des Guten zu viel, wenn er beispielsweise die stumme Figur eines abgebrühten Militärseelsorgers mit einem individuellen Namen versieht (Pater Moll).

Man ist gut beraten, vor der Aufführung im Trovatore-Programmheft die Inhaltsangabe nachzulesen und später aufmerksam die modern-sprachlichen Übertitel zu verfolgen. Durch beides erschließt sich nachdrücklich, dass in dem romantisch-pathetischen Musikdrama mehr steckt als nur ein pittoreskes Handlungs-Tohuwabohu. Wie schon Götz Friedrich vor einigen Jahrzehnten in Berlin und Kopenhagen beruft sich Dietrich Hilsdorf, politisch präzisierend, auf den historischen Streit zwischen den Häusern Kastilien und Urgel um den Thron von Aragon, welcher die einander fremden Brüder Luna und Manrico auf der jeweils feindlichen Seite sieht. Diese Deutung präsentierte er vor längerem in Essen und behält sie jetzt in Bonn bei.

Dass seine kluge Konzeption als solche nicht auf Anhieb dringlich wird, liegt zu Teilen an seinem sonst immer so bewährten Ausstatter Dieter Richter. Die Entscheidung für eine Drehbühne hat zur Folge, dass die einzelnen Schauplätze eng gebaut sind und dadurch einen puppenstubenhaften Anstrich erhalten. Der essenzielle Konflikt des Sujets kommt freilich auch generell erst in den Bildern nach der Pause so richtig zum Tragen, wenn der inhumane Charakter des Grafen Luna und die Kriegskälte seiner Soldateska gesteigert deutlich wird. Grausamkeit mischt sich da makaber mit Frömmelei, besonders deutlich bei dem autoritären Vasallen Ferrando.

Das 5. Bild, mit „Die Hexenjäger“ übertitelt, treibt Fremdenhass auf eine nachgerade widerliche Spitze. Gefangene in engen Käfigen, ausgepeitschte Menschen, ein sadistischer Tanz mit der aufgegriffenen Azucena - das alles könnte man ins Heute fortdenken. Verdis Musik wird dabei alle Genüsslichkeit ausgetrieben. Um noch einige Grade beklemmender das Finale: die Zigeunerin geblendet, ihrem (vermeintlichen) Sohn Manrico (Troubadour = fahrender Sänger) eine Gitarre in die gebrochenen Finger gedrückt; zuletzt die an Gift sterbende Leonora. Und der stolze, geile Luna denkt auch hier nur an Rache und persönliche Befriedigung. Nur so radikal sollte man die Verdi-Oper heute spielen.