Knallbunte Heimkehr ohne Happy End
Wenn die Götter sich polternd durchs Publikum zurückziehen, ist der Spaß vorbei. Über zwei Stunden lang hat Bernd Mottl das Publikum mit seiner ungewöhnlichen Erzählweise der 1640 uraufgeführten Renaissanceoper um die Rückkehr des Kriegshelden Odysseus nach zehnjähriger Irrfahrt blendend unterhalten. Friedrich Eggert hat ihm dafür ein bonbonbuntes Itaca-Inselchen gebaut, ein Fertighaus mit Rasenbrett, den Kitschtraum des Kleinbürgers vom Familienzuhause als Minifestung. Ständig rotiert die Bühne von innen nach außen und umgekehrt. Odysseus, im Kampfanzug mit Maschinenpistole, durch Orientierungslosigkeit verlangsamt, wirkt zwischen lauter Party-People wie das Ungeheuer von Loch Ness unter Touristen. Brillant setzt Bernd Mottl sämtliche Mittel der uramerikanischen Pop-Kultur ein, um diese Gesellschaft zu beschreiben, von Hopper bis Warhol, vom Genre-Kino über seltsam abgründige Seifenoperseligkeit bis hin zum Comic-Strip. Da kommen die Götter in parodistischer Übertreibung daher wie Flash Gordons Geschwister, da sind die Freier in ihrer Blasiertheit vielleicht von der Serie Mad Men inspiriert. Da gibt es eine Tupperparty mit abgestürzter Tanzeinlage, die obligatorischen All-American-Barhocker und Athene erscheint als Milchmann, wie man ihn schon aus Unsere kleine Stadt von Thornton Wilder kennt. Der bewusste Umgang mit all diesen Klischees führt zu liebevoller Ironisierung. Deutlich werden die Charaktere gezeichnet, aber nie denunziert. Im Zentrum des vor Lebensfreude überschäumenden Geschehens steht Penelope ganz allein und sehnt sich nach – sie weiß nicht was. Vielleicht nur, dass es aufhört. Katrin Wundsam zeigt dieses Nicht-dazu-gehören vom ersten Moment an prägnant in Gesang und Spiel.
Konrad Junghänel befeuert das Geschehen mit energiegeladenem, filigran zugespitztem Barockklang und wartet mit sinnlichen Delikatessen wie dem sich wie ein Ensemble von unglaublich tiefen Flöten anhörenden Regal auf. Phasenweise vertrocknen die Differenzierungen allerdings in der ungünstigen Akustik des Palladiums. Das – um wenige Gäste ergänzte – Ensemble der Kölner Oper spielt grandios und bewältigt die immensen musikalischen Anforderungen tadellos, wenn auch nicht ganz so glanzvoll wie etwa in Krieg und Frieden zu Beginn der Spielzeit.
Schon im Prolog, hinter der Bühne vor stehendem Publikum aufgeführt als munter moralisches Kasperltheater, begeistern der dunkel glühende Countertenor Dmitry Egorov und der im Barockrepertoire erprobte Wolf Matthias Friedrich, der später auch gewinnend in Neptuns grimmigen Tiefen badet. Herausragend die charmante, wunderbar leicht auf Linie gesungene Minerva der Claudia Rohrbach, der lebensfrohe, hochmusikalische Hirt Eumete des Miljenko Turk und die skurrile, wunderbar tanzende, immer hochpräsente Amme der Hilke Andersen. Solide der Rest: Robert Wörle, der den Fettsack Iro musikalisch unkonventionell aber stilecht zeichnet und der schön-schmalstimmige Tenor Peter Gijsbertsen, der seine Stimmcharakteristik geschickt als Gestaltungsmittel für den Gott Jupiter einsetzt.
In der großen Freier-Szene des zweiten Aktes verlassen sie den Regisseur kurz, die Einfälle, und er baut einen treudeutschen Dia-Abend in den vorher so frisch und konsequent daherkommenden Ami-Esprit ein. Dann massakriert Odysseus die Freier mit seiner MP, die Götter singen einen Jubelchor und lassen die Menschen alleine. Der intensive Mirko Roschkowski, der im tiefen Register seines schönen Tenors die Leiden seiner Figur fast schmerzhaft greifbar macht, während die Höhen der Illusion vom Happy End gewidmet sind, steigt zu seiner Penelope ins Bett. Noch ist Blut an den Wänden. Das Schlussduett hat so gar nichts Hymnisches. Hoffend klingt es, sehnend, zweifelnd. Als die Musik endet, steht Odysseus auf und geht, nach einem traurigen Blick auf seine Frau, leise durch die Tür. Die berühmte Stecknadel fällt klirrend zu Boden.