Peter Grimes im Theater Münster

Ein eigenbrötlerischer Fischer

„Peter Grimes“ hallt es durch die wabernden Nebelbänke. Und der Gesuchte weiß, dass die Dorfgemeinschaft unterwegs ist, um Selbstjustiz an ihm zu üben für seine vermeintlichen Verbrechen. Ein starkes Bild, das Andreas Baesler für den Schluss von Benjamin Brittens Peter Grimes findet: Der Fischer hockt einsam im dichten Nebel und ihm ist klar, dass all seine Anstrengungen, seine Ziele, seine Hoffnungen auf ein bürgerliches Leben vergebens waren. Ihm bleibt nur noch, Balstrodes Rat zu folgen und in den Tod zu gehen, draußen auf hoher See.

Am Ende der Britten-Premiere gab es – ein in Münster eher seltenes Phänomen – Standing ovations für alle Beteiligten an Andreas Baeslers Lesart von Peters Grimes. Für die vom Regisseur geradeheraus, wie eine unerbittlich dem Schicksal folgende griechische Tragödie erzählte Geschichte entwirft Andreas Wilkens einen auf Teppich gemalten Plan des Fischerdorfes, der nach hinten senkrecht in die Höhe geht. Ein enger Raum - da wird nicht abgelenkt vom Geschehen; Wilkens unterstützt dessen Fortlauf ganz funktional, wie auch Gabriele Heimanns zeitgenössische Kostüme. Der Chor ist als Einheit der Dorfbewohner Antipode zum eigenbrötlerischen Fischer. Geschickt füllt er massenhaft die Bühne, nur in der Sturmszene im Wirtshaus bleibt alles recht statisch – das Dorf sitzt inmitten des fürchterlichen Brausens brav auf seinen Stühlen.

Das kompakte Dorfleben bekommt Individualität, weil Baesler zum Mittel des Videos greift, gestaltet von Stephan Komitsch. Da gibt es intime Einblicke ins Leben der Bewohner, bisweilen recht erhellend, besonders in den Standbildern. Aber gerade bei den bewegten, flimmernden Videoeinsielungen können diese vom Geschehen auf der Bühne ablenken.

Was Baesler toll gelingt, sind kleine Szenen im Zusammenspiel der Akteure, die all die kleinen Unzulänglichkeiten der Handelnden ausloten. Und dann die letzten Takte nach Grimes Tod auf hoher See: sein Haus wird mit gelbschwarzem Flatterband abgesperrt, während der Chor seine Idylle vom Anfang der Oper wiederholt. Das ist wirklich ergreifendes Theater!

In der Titelpartie beginnt Wolfgang Schwaninger ganz stark, führt seinen Tenor sicher durch die Klippen der Partie, während er gegen Ende seine Stimme etwas zu brüchig werden lässt. Sonja Mühleck ist eine Ellen Orford, die deutlich die Leidensfähigkeit, aber auch das große Mitempfinden ihrer Figur entfaltet. Stimmlich neigt sie – gerade in den oberen Lagen - zu recht unangenehmen Schärfen.

Glänzen kann das hauseigene Ensemble. Suzanne McLeod ist als frivole Wirtin Auntie ganz in ihrem Element, wie auch Plamen Hidjov als rustikaler, der Obrigkeit willfähriger Fuhrmann und Donald Rutherford als geschäftstüchtiger Apotheker. Auch Youn-Seong Shim als Pfarrer macht eine gute Figur, wie auch Fritz Steinbacher als eifernder Prediger mit aggressivem Potenzial.

Aufhorchen lässt Olaf Plassa mit seinem ausgewogenen und einfach schönen Bariton, während Hellen Chon und Melanie Spitau als Nichten der Wirtin eher blass blieben – bleiben sollten als Blondinen mit Marilyn- Perücken. Wenig markant und kraftlos auch Gundula Schneider als Mrs. Sedley, die Hobby-Kommissarin. Ganz toll ist der von Karsten Sprenger einstudierte Chor. Er trägt die Handlung wunderbar gelassen und stimmgewaltig.

Aber – und da gibt es kein Vertun – die Hauptrolle an diesem umjubelten Opernabend spielt das Sinfonieorchester Münster unter Fabrizio Ventura, der das Zusammenspiel von Graben und Bühne auf ganz wunderbare Weise zu großer Harmonie führt. Rhythmisch präzis, klanglich ungemein farbig und rund. Das Wilde, Tosende, Unberechenbare, das Britten in seiner Partitur sowohl mit dem Meer als auch mit den Dorfbewohnern assoziiert, malen Ventura und seine Musiker genauso ins Große Haus wie die pastosen Landschafts- und Seebilder und das zart-resignative Quartett der vier Damen. Das war zum Niederknien – Chapeau!