Urgesunde „Einstiegsdroge“
Selman Adas 1991 uraufgeführte Märchenoper Ali Baba und die 40 Räuber hat im – wie hierzulande kaum bekannten – sehr lebendigen Opernleben der Türkei die Funktion, die bei uns seit vielen Jahren Humperdincks Hänsel und Gretel einnimmt. Familien gehen zusammen hin und führen die Kinder in die Welt der Oper ein. Hänsel und Gretel ist bekanntermaßen ganz große romantische Oper, anspruchsvolle, oft sehr voluminöse Musik zwischen Pathos und Sentiment, immerhin mit Kindern als Identifikationsfiguren.
Wie anders kommt Ali Baba daher. Hier ist – fast – alles pralle, bunte Lebensfreude, angereichert mit fetzigen Tanzrhythmen. Kinder gibt es keine auf der Bühne, dafür werden die wesentlichen Triebfedern menschlichen Handelns – Liebe und Hass, Gier, Neid und Freundschaft – bewusst ausgestellt. Die Wuppertaler Bühnen stellen das reizvolle Werk aktuell in deutscher Erstaufführung vor.
Im ersten Akt hält der inszenierende Operndirektor Johannes Weigand, so scheint es, noch ein wenig den Deckel auf den Topf. Er erzählt die halbwegs bekannte Geschichte gelassen, verlässt sich auf die reizvollen, zweidimensionalen Bilder und bunt-folkloristischen aber nicht fantasielosen Kostüme von Markus Pysall. Und auf die Musik. Schon nach der von Florian Frannek sehnig und dynamisch dirigierten und – für hiesige Ohren sehr ungewöhnlich – von Chorausrufen durchsetzten Ouverture applaudiert das Publikum begeistert. Zum erzählerischen Feintuning werden Texteinblendungen eingesetzt, die auch die etwas langen Umbaupausen zumindest teilweise überbrücken.
Nach der Pause steigt das Tempo spürbar. Jetzt kommen einige Änderungen zum Tragen, die der Komponist und sein Librettist Tarik Günersel, ein bedeutender türkischer Literat, dem alten Stoff haben angedeihen lassen. Die Räuber sind – bis auf den Hauptmann – sämtlich Flüchtlinge aus den Banden der Ehe und müssen dahin zurück, der im ersten Teil letal Opfer seiner Gier gewordene Ali Baba-Bruder Kasim spukt hohnlachend durch die Handlung und ein Liebespaar mit Beziehungshappyend gibt es auch. Ali Baba hat einen Sohn und der liebt die kluge, stets Rettung wissende Sklavin. Banu Böke und Miljan Milovic singen ihre Soli und ein herzwärmendes Liebesduett auf Türkisch. Besonders im Duett, wo sich Sopran und lyrischer Bariton aufs Wunderbarste mischen, bekommt man eine Ahnung von der eigentlichen Klangwelt dieser Musik, einer fruchtbaren, sehr lebendigen und theateraffinen Mischung aus westlichen und orientalischen Einflüsse.
Die übrigen Textpassagen haben Johannes Weigand und seine Dramaturgin Ulrike Ollbrich wirkungsstark mit oft deftigen Reimen ins Deutsche übertragen. Das Ergebnis ist lebendiges Volkstheater. Chor, Orchester und Solisten entledigen sich der ungewohnten, aber sehr dankbaren Aufgaben locker und mit großer Spielfreude.
Michael Tews dröhnt den Räuberhauptmann gut gelaunt mit echtem Piratencharme. Joslyn Rechter aalt sich fast lasziv im Rollenbild der zickigen Schwägerin. Olaf Haye besticht als Bruder Kasim vor allem in der Szene in der Schatzhöhle durch perfektes Timing. Über seinen bildschönen Bariton muss man nichts mehr sagen. Auch in den kleinen Rollen stimmt alles. Im Mittelpunkt des Treibens steht Ünüsan Kuloglu als Ali Baba. Ein Star in der Türkei, zieht er das Publikum durch Beweglichkeit und rauen, schelmischen Charme von Anfang an auf seine Seite. Er führt seinen Tenor sehr kehlig, was aber perfekt zur Musik passt. Der Premierenjubel war groß und schloss den anwesenden, sichtbar erfreuten Komponisten Selman Ada mit ein.
Es muss eben nicht immer Hänsel und Gretel sein.