Liebe im Stadtpark
Sheila ist in die Jahre gekommen. Dennoch soll der runde Geburtstag ihres Mannes, auch wenn’s unbequem ist, genau da gefeiert werden, wo man sich kennen gelernt hat: im Stadtpark während der gemeinsamen Hippie-Zeit. Das findet Tochter Jenny, die Eventmanagerin völlig daneben und hat mit der Partyorganisation alle Hände voll zu tun. So hat Sheila Zeit und Muße, ihrem Enkel zu erzählen, wie das damals war mit freier Liebe, Drogenrausch und Protesten gegen den Vietnam-Krieg.
Diesen Rahmen gibt Regisseur Dirk Böhling Galt MacDermots Hair. Eine schöne Idee, das Achtundsechziger-Musical im Heute zu erden, ohne dass es aufgesetzt wirken würde. Und letztendlich sind es ja die Werte, mit denen Sheila ihre Jugend beschreibt, die bleiben und bis heute wirken: Freiheitsliebe und Toleranz.
Ansonsten wird die Detmolder Hair-Interpretation bestimmt durch farbige Retro-Kostüme von Petra Mollérus, deren Wirkung man sich genauso wenig entziehen kann wie der einfach strukturierten, aber eben deshalb auch so eindrucksvollen Choreografie Ricardo Fernandos. Für jeden einzelnen der Songs schafft er es, das Ensemble immer wieder neu aufzustellen. So erzeugen Mollérus und Fernando Blickfänge, die Hair auf der relativ kleinen Detmolder Bühne zu einem farbig-lebendigen Musicalabend werden lassen, der auch mit nachdenklichen Momenten aufwartet. So inszeniert Böhling Claudes LSD-Rausch als Horrortrip in Kriegsschrecken.
Und doch steht bei Hair heute sicher weniger die Handlung im Vordergrund – vielmehr sind es die Songs, die das Stück bis in die Gegenwart im Musical-Kanon halten. Ein paar dieser Lieder kennt jeder, zumindest in bearbeiteter Form. In ihrer Vielfalt drücken sie die Geisteshaltung einer Generation aus. Und so ist es auch sinnvoll, wenn in Detmold, einem Haus, das auf Übertitel verzichtet, in einer Mischung aus Deutsch und Englisch gesungen wird. Dabei werden Walter Brandins deutsche Texte behutsam aktualisiert. Und dieser Sprachen-Mix geht auf, hat etwas ganz Natürliches, wirkt nirgendwo künstlich.
Tobias Richter leitet vom Keyboard aus den Abend musikalisch mit viel Umsicht, lässt seine Band nicht zu sehr aufdrehen. Die Balance zwischen dem singenden Personal und Instrumenten bleibt stets gewahrt, der Sound überzeugt sowohl in den leisen, harten und kalten als auch in den swingenden, fröhlichen Songs bis hin zum Good Morning Starshine, der vom Ensemble mit Hilfe reflektierender Spiegel ins Publikum hinein gezaubert wird.
Choreografisch mischen sich das Detmolder Ballett und das Musicalensemble perfekt. Und auch die Sängerinnen und Sänger sind vor allem im Ensemble sehr homogen. Allerdings gibt es da durchaus einige Schwächen in den Solo-Passagen.
Herausragend der unverstandene Claude von David Jakobs, dem es gelang, alles Unverstandensein und alle Verzweiflung in seine Stimme zu legen. Aber auch Fenja Schneider als Sheila machte gesanglich eine gute Figur.
Bis zum finalen Let the Sunshine In hat das Hair-Fieber längst das gesamte Publikum erfasst. Es wird mitgeklatscht und mitgesummt. Am Ende dann riesiger, wohlverdienter Applaus für das gesamte Team für einen schönen Abend im Theater. Wenn sich das in Ostwestfalen herumspricht, dürfte die Produktion ein Selbstläufer werden.