Fangesänge im Dortmund, Oper

So ein Tag...

Zwei Männer in mittleren Jahren in gehobener Freizeitkleidung mit gelben Schals an einem Stehtisch.

„Weisse, wenn Paderborn wirklich aufsteigt…“„

Dat wär wat…“

„…vor allem für Westfalen!“

Beide beißen mit feuchten Augen in ihr Bier.


Diese kleine Szene ereignete sich weder im Stadion noch in der Kneipe. Wir befinden uns im Foyer der Dortmunder Oper, unmittelbar vor Beginn der Uraufführung des ‚Fußballoratoriums‘ Fangesänge. Das Premierenpublikum in Abendgarderobe ist teilweise durch Faninsignien zusätzlich geschmückt und durch fußballaffine Zuschauer ergänzt, die ihre Vorlieben freimütig und vielfarbig zur Schau stellen, von Blau wie Schalke 04 über Rot wie Östrich 55 (liegt bei Iserlohn) oder Gelb wie Alemannia Aachen.

Auf der Bühne herrscht natürlich Schwarz-Gelb. Auf der von Ilona Schwab realistisch vor einen schwarz-gelben Bühnenhimmel gebauten Stehplatzkurve bauen sich 80 Menschen auf, der Opernchor und der eigens zusammengestellte „Chor der Fußballfreunde“, wild durchmischt.  90 Minuten lang singen sie vom Fußball, und zwar nicht nur „Halleluja, Borussia, olé“. Stimmungschöre wechseln sich ab mit Schmähliedern, umgetexteten Chorälen, und  sanften, auch mal bombastischen Hymnen.  

Drei Schauspieler übernehmen viele Rollen, mehrere Mitglieder des Opernchores treten auch solistisch hervor. Es entsteht ein plastisches, nicht idyllisiertes, nicht mal immer fröhliches Bild des sozialen und ökonomischen Phänomens Fußball. Der Text von Jörg Menke-Peitzmeyer bewegt sich sicher und stets reflektiert auf dem kitzligen Terrain. Aggressionspotenziale werden nicht geleugnet, sondern gestaltet, genauso wie Anspielungen auf Kriegssituationen und Analogien zu sakralen Ritualen. Pathos und Ironie dominieren im steten Wechsel die 90 Minuten, nach denen Dortmund – kleinstmöglicher Handlungsrahmen – natürlich als Sieger da steht.

Nicht alles stimmt an der Inszenierung von Marcelo Diaz, aber der Grundton ist goldrichtig. Schwache Momente werden durch schwarz-gelbe Sangessinnlichkeit versüßt und durch viele Höhepunkte veredelt. Auf die – auch textlich – eher schwache Würdigung des argentinischen Ex-Idols Maradonna folgt der Auftritt des FIFA-Übermonsters Joseph Blatter, dem ein Junge vor dem Stimmbruch im Lionel-Messi-Outfit das Rondo um das goldene Kalb aus Gounods Faust– Oper entgegen schmettert, was das Publikum wiederum zu Begeisterungsstürmen hinreißt.

Es ist vor allem die von Martin Gantenbein wunderbar ausgewählte und frisch arrangierte Musik, die den Abend zum Triumph werden lässt. Im Schiedsrichter-Outfit und mit Torwarthandschuh leitet Philipp Armbruster das kleine Orchester und den Riesenchor, den Granville Walker perfekt einstudiert hat, mit nicht nachlassender Energie und ständiger guter Laune. Sämtliche Solisten machen einen tollen Job, Christine Groeneveld verschafft über 1000 Zuschauern Gänsehaut mit ihrem Altsolo in der getragenen Hymne Abide with me, Carl Kaiser schickt mit vollmundigem Tenor den Mann mit der Mütze nach Hause. Randolph Herbst, Rainer Kleinespel und Bastian Thurner beeindrucken durch sprachliche Präzision und Körpereinsatz.

Das Ganze ist ein tolles Ding für das Dortmunder Theater. Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater sind beteiligt und dokumentieren die Leistungsfähigkeit eines Mehrspartenhauses. Und die Zuschauer, viele offenkundig keine häufigen Theatergänger, toben wie nach einem Europapokalsieg.