Liebe ist nur ein Wort
Am Ende steht er da: als einsamer, gebrochener Mann mit seiner traurig-schmuddeligen Narrenkappe aus Rasta-Locken. Vom Rachegedanken durch und durch besessen, hat er am Ende seinen Lebensentwurf zerstört und ist nun wirklich das, was eigentlich nur sein Beruf war – ein Narr.
Regisseur Roman Hovenbitzer und Bühnenbildner Hermann Feuchter siedeln Verdis Rigoletto in einer kalten, heruntergekommenen Umgebung an. Der Herzog und sein Gefolge tummeln sich in einer Art Turnhalle mit Sprungpferd und Ringen, einem Boxring und Mikrofon zum Karaokesingen. Dort treiben sie allerlei Spielchen, auch sexuelle. Champagner fließt, er wird gern aus allen möglichen Körperteilen des femininen Gegenüber geschlürft. Eine (Männer-)Gesellschaft hat sich hier zusammengefunden, die ihre Lustfantasien offenbar nur substituieren kann.
Es ist nicht nur eine kalte, sondern auch eine schnelle Welt. Die halbrunden Bühnenelemente geraten in Drehung, was das Zeug hält, Wände öffnen und schließen sich und der Herrenchor (von Hagen Enke sehr gut vorbereitet) erscheint als eine Ansammlung maskierter Rächer, der im zweiten Teil fast zum Chor in einer griechischen Tragödie mutiert.
Rasch folgen die Szenen aufeinander, sodass gerade der erste Teil fast gehetzt und ein wenig atemlos wirkt. Als verbindende Elemente setzt Hovenbitzer Sparafucile und Maddalena ein als eine Art Schicksalsgötter in Gestalt von Commedia dell’arte-Figuren, die pantomimisch Handlungen anschieben und die Bühne in Bewegung bringen. Die Poesie dieser kleinen Momente versinkt aber leider in der allgemeinen Betriebsamkeit und Hektik des Geschehens.
Trotzdem gelingt es dem Regieteam – auch dank der grau-tristen Kostüme Roy Spahns - die Trostlosigkeit und Festgefahrenheit der Situationen deutlich zu machen. So sitzt Gilda fest zwischen zwei völlig auf sich bezogene Männer, die sie beide für sich selbst wollen. Der Herzog appelliert an ihre attraktive Fraulichkeit - Rigoletto bringt ihr Puppen, damit sie ihm als ewiges Kind verfügbar bleibt.
In der Zuspitzung dieses Konflikts im zweiten Teil gelingen Hovenbitzer die besten Momente seines Rigoletto. Am Ende ist Gilda die einzige, die sich aus der erstarrten Situation lösen kann. Sie steigt eine hohe Leiter empor und verschwindet letztendlich am Bühnenhimmel im Nebel. Ein starker Augenblick, ein wunderschön ins Bild gesetzter Befreiungsakt. Zurück bleibt ein zwar zutiefst trauernder, aber auch völlig verständnisloser Rigoletto.
Dass der zweite Teil insgesamt der stärkere ist, liegt sicher auch am verminderten Tempo der Aktionen, ist aber auch ein Effekt der wirklich ganz ausgezeichneten gesanglichen Leistungen: Jaco Venter steigerte sich hör- und sichtbar in diesen getriebenen Rigoletto hinein. Nach einem etwas nervösen Start brachte er mit seinem kraftvollen Bariton alle Charakterfacetten zum Ausdruck: vom Überheblichen über den Rache-Engel bis zum Verzweifelten zauberte Venter alles hervor.
Cornelie Isenbürger als Gilda sorgt an diesem Abend für ganz innige Glücksmomente. Wie sie mit ihrem warmen und zugleich vollem Sopran von Hoffen, Bangen und Erlösung singt – und das mit traumwandlerischer Sicherheit – das schafft die ultimativen Gänsehautmomente. Jacek Janiszewski und Melanie Forgeron singen neben Sparafucile und Maddalena gleich mehrere Rollen, glänzen schauspielerisch im Pantominenspiel.
Eric Laporte ist ein kraftstrotzender Herzog, dessen Tenor für diese Partie etwas an Biegsamkeit und Facettenreichtum gewinnen darf. Ein Paar Töne nur hat Torben Jürgens als Monterone zu singen – die aber gehen bis ins Mark, volltönend und drohend.
Die große Ausgeglichenheit des Bielefelder Ensembles demonstrieren Vuokko Kekäläinen, Tae-Woon Jung und besonders Daniel Billings und Michael Pflumm in den kleineren Partien.
Die Bielefelder Philharmoniker finden unter ihrem Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic ganz zweifellos zu einer ihrer besten Leistungen dieser Saison. Mit Präzision und unerbittlichem Vorwärtsdrang treiben sie Rigoletto seinem Schicksal entgegen, nehmen sich bei Gildas Arien zurück. Kalajdzic setzt auf einen durchhörbaren, keineswegs auf einen nur übermäßig schwelgerischen, verschwommenen Verdi-Klang. Schäumende Dramatik und in sich gekehrte Poesie – zwischen diesen Polen bewegt sich das musikalische Geschehen, gut koordiniert zwischen Bühne und Graben.
Das Premierenpublikum dankte mit Standing Ovations, in die sich ein paar Buhrufe für das Regieteam mischten. Die aber gingen im allgemeinen Jubel locker unter.