Neue Chance für Berthold Goldschmidt?
Der künstlerische Lebensweg des Komponisten Berthold Goldschmidt ist letztlich als ein tragischer zu bezeichnen, enthält allerdings einige bizarr-kuriose Züge. 1903 in Hamburg geboren, galt Goldschmidt zunächst als „eine der großen Hoffnungen der deutschen Musik vor 1933“, wobei diese Formulierung von Hans Ferdinand Redlich auch verrät, worin das Schicksalhafte dieser Karriere lag. Als Jude musste Berthold Goldschmidt Deutschland verlassen (1935) und sich in England ein gänzlich neues Tätigkeitsfeld aufbauen. Der einstige Erich-Kleiber-Assistent hatte zwar solides musikalisches Rüstzeug aufzuweisen, aber als Komponist vermochte er nicht mehr Fuß zu fassen. So zog er sich auf seine Arbeit bei der BBC zurück, wirkte verstärkt als Dirigent, vor allem der Werke Gustav Mahlers.
Als es 1981/82 überraschend zur Aufführung von Teilen der Oper Der gewaltige Hahnrei kam, wurde die Musikwelt auf Goldschmidt wieder aufmerksam, gipfelnd in dem Jahre 1994, als der Hahnrei an der Komischen Oper Berlin von Harry Kupfer inszeniert wurde. Bern und Darmstadt folgten. Die Oper Beatrice Cenci, die Goldschmidt 1949, angespornt durch einen Opernwettbewerb, zu Papier gebracht hatte, landete jedoch in der Schublade. Von der BBC wurden nur mal Ausschnitte produziert und gesendet, erst 1998 gab es die konzertante Premiere des gesamten Werkes. Auf die Bühne fand Beatrice Cenci erst 1994 in Magdeburg. Im gleichen Jahr erfolgte auch eine weitere Konzertdarbietung in Berlin unter Lothar Zagrosek. Diese späte Goldschmidt-Renaissance, die den 1996 verstorbenen Komponisten sehr glücklich machte, ist inzwischen wieder verebbt. Die Zukunft scheint unsicher, und so ist der Oper Dortmund eine ganz hohe Anerkennung auszusprechen, dass sie jetzt einen zweiten Bühnenversuch wagte, auf welchen durch die krankheitsbedingte Absage der Regisseurin Regula Gerber freilich - fast symbolhaft - ein Schatten fiel.
Der einspringende Johannes Schmid bezeichnet Beatrice Cenci als „düsteren Krimi“. In der Tat hat man es mit einer Schauergeschichte aus der Renaissance zu tun. Die Titelheldin wird im Alter von nur 22 Jahren (zusammen mit ihrer Stiefmutter Lucrezia) hingerichtet, schuldig befunden an der Tötung ihres Vaters, dem Grafen Francesco Cenci, einem moralabstinenten, sich als sein eigener Gott brüstender, dem Laster hingegebenen Despoten, der seiner Tochter auch sexuell Gewalt antut. Die wesentlichen Fakten behält das Opernlibretto Martin Esslins (nach einem Drama Percy Shelleys) bei, bemüht sich aber um eine Differenzierung der Schuldfrage. Beatrice wird zu einer nachgerade emanzipatorischen Verteidigerin einer Tat, welche die Kirche jedoch, so buchstabenstreng wie andererseits korrupt, unnachgiebig verdammt.
In diesen ethischen Konflikt schaltet sich auch die Musik Berthold Goldschmidts ein, der man über weite Strecken anmerkt, dass ihr Komponist einmal zu den „Neutönern“ gerechnet wurde. Aber die Tonsprache verzichtet nicht auf tonale Beimischungen, bekennt sich zum Melodischen - ein Kontrast, der gerade bei einem Bühnenwerk wirkungsvoll auszureizen ist. Das Klanggeschehen im Gefängnisbild ist eine hymnische Verteidigungsrede für Beatrice, ein Plädoyer für Humanität. Der Hinrichtung folgt ein Chor-Requiem, die Oper endet mit einem Dur-Dreiklang.
Jac van Steen am Pult der Dortmunder Philharmoniker beglaubigt die Musik mit theatralischem Gespür, lässt sie mit interpretatorischem Bekennermut aufblühen. Ausgezeichnet, wie zuletzt auch im szenisch gebotenen Elias Mendelssohns, agiert der Chor. Mit lyrisch klarem, aber nicht zu weichen und enorm höhensicheren Sopran formt Christiane Kohl ein beeindruckendes Beatrice-Porträt. Der schöne, elegante Mezzo von Katharina Peetz macht Lucrezia zu einer gleichwertigen Figur. Ohnehin wird im Grunde erst mit dem 3. Akt gänzlich legitim, dass die Oper nicht - wie etwa bei Havergal Brian oder Giorgio Battistelli - mit The Cenci übertitelt ist.
Andreas Macco gibt bassausladend den giovannesken Fiesling Francesco, als Beatrices adoleszenter Bruder Bernardo ersingt und erspielt sich Ileana Mateescu alle Sympathien. Unter den Nebenfiguren fallen Wen Wei Zhang und der wie immer tenoral begeisternde Lucian Krasznec auf, während Christian Sist als Kardinal Camillo nicht ganz an seinen Elias heran kommt und Christoph Strehl als ebenfalls karrieresüchtiger Anpasser Orsino relativ blass bleibt.
Johannes Schmids Inszenierung vermittelt den brisanten, leicht ins Heute fortzudenkenden Stoff ohne viel eigenes Hinzutun. Man kann die von einem stelenartigen Säulenarrangement massiv überhängte schwarze Szene Roland Aeschlimanns als durchaus sinnfällig empfinden. Doch auch dieser Kulisse, in der die (endlich mal) historisch gewagten Kostüme Andrea Schmidt-Futterers wirkungsvolle Akzente setzen, fehlen individuelle, wirklich sinnverstärkende Fingerzeige. Die Personenführung belässt es meist bei archaischen Gruppierungen, Soloszenen frieren oft zu einem Rampensingen ein. Aus diesem Werk wäre optisch mehr herauszuholen - hoffentlich geschieht dies schon bald einmal anderswo.