Fortuna ist launisch
So soll’s sein: Der Leichtlebige, der nur auf Fortuna vertraut, muss Federn lassen. Der Teufel holt ihn, treibt ihn hinein in ein ausschweifendes Leben und will anschließend seine Seele. Die kriegt er nicht ganz, treibt den armen Kerl aber in den Irrsinn.
Igor Strawinskys Oper über diesen Tom Rakewell ist eine ganz böse Geschichte von festgefahrener, bürgerlicher Moral und darüber, was jenen passiert, die sich diesen Vorstellungen entgegenstellen.
Und genauso bringt Sabine Hartmannshenn Strawinskys The Rake’s Progress in ganz realistischen Bildern von großer Opulenz auf die Bühne. Da ist nichts verschlüsselt oder über die Maßen anspielungsgeladen. Und das Konzept funktioniert, ohne auch nur an einer Stelle flach zu wirken. Denn Hartmannshenn lässt die Geschichte ungezügelt fließen, ja sprudeln, so dass man dieser Moritat gern folgt. Die optischen Schmankerl tun ihr Übriges, um ans Geschehen zu fesseln. Das ist Dieter Richters Bühne zu verdanken, der wieder brilliert in seiner Ausgestaltung eines großbürgerlichen Salons - diesmal in Gestalt einer Luxussuite in einem Londoner Hotel. Aber auch die übrigen Handlungsorte sind Hingucker wie das schlichte Landhaus des Vaters Trulove, den Sami Luttinen markant in Szene setzt, aber auch das extravagante Penthouse über der Themse, in dem Tom Rakewell residiert. Susana Mendozas vielfältig-farbige Kostüme unterstreichen die schnörkellose Erzählweise Hartmannshenns. Herrlich, wie sie Promis in die dekadente Versammlung im Bordell mischt: Karl Lagerfeld etwa oder Johnny Depp vergnügen sich da. Und die Bordellchefin Mother Goose selbst, die Bonita Hyman verkörpert, ist in ein tolles enges kanariengelbes Kleid gehüllt, das ihre Leibesfülle noch unterstreicht. Man kann sich richtig vorstellen, wie Tom Rakewell mit dieser Wucht seinen ersten Sex hat. Oder das laszive, androgyne Leder, in dem der Teufel Nick Shadow Tom umgarnt – eine Pracht.
Diese Pracht verbindet sich mit exquisiten musikalischen Leistungen: Was eine Mischung aus tollen Gästen und einem ebenso auf hohem Niveau singenden hauseigenen Ensemble vermag, zeigt die Deutsche Oper am Rhein exemplarisch – hoffentlich noch lange! Wie immer in Form ist der Chor der Deutschen Oper am Rhein, Bruce Rankin (Sellem) und David Jerusalem (Wärter des Irrenhauses) sind eine Bank. Das gilt auch für Susan Maclean, die als Baba the Turk ihre große Stimme diesmal in den Dienst ihres unbezweifelbaren komischen Talents stellt. Als Rakewell sie mit einer in den Mund gestopften Banane zum Schweigen bringt, ist schon allein ihr Gesichtsausdruck unbezahlbar.
Bo Skovus ist ein schillernder Shadow, dessen Farbenreichtum und balsamische Verlockungen in der Stimme auch ein weniger schwacher Mensch als Tom Rakewell erlegen wäre. Den singt Matthias Klink mit unendlicher Sicherheit, nie erschöpfenden Reserven und ist am Schluss dieser kraftraubenden Partie noch zu fragilen, nie auch nur annähernd unsauberen Koloraturen im Stile von Henry Purcell fähig – großartig. Dieses Lob gilt auch und besonders für Anett Fritsch als Anne Trulove. Wie die im Düsseldorfer Ensemble beheimatete Sopranistin ihre Rolle gestaltet, macht staunen. Keine Stelle der an Schwierigkeiten nicht armen Partie bereitet ihr anscheinend Probleme. Ihre Mühelosigkeit, ihr Gestaltungswillen, ihre lichte Höhe, die ebensoviel Durchschlagskraft hat wie die gut ausgebildete tiefe Lage, die lupenreine Intonation... all das ist ein Erlebnis.
Auch die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober tragen bei zu dieser außergewöhnlich packenden Inszenierung.Brillanz und Leuchtkraft prägen das Spiel, Strawinskys Klangvielfalt und origineller Stilmix kommt ganz plastisch, frisch und lebendig zum Ausdruck, die Sänger dürfen sich wie auf Händen getragen fühlen. Ein Sonderlob für Patrick Francis Chestnut am Cembalo – ein wacher Virtuose, der mit einem Ohr stets mitten im Bühnengeschehen ist. Rundherum merkt man allen Künstlerinnen und Künstlern an, wie viel Spaß sie an The Rake’s Progress haben – das ist große Oper!