Frauenheld - zeitlos
Don Giovanni unterwegs im 20. Jahrhundert. Oder genauer: in der Mitte des 20. Jahrhunderts, damals, als es die ersten Polaroid-Kameras gab – für Leute, die es sich leisten konnten. Don Giovanni zum Beispiel. Der hat seinem Lakai Leporello so eine moderne Schnappschuss-„Pistole“ besorgt. Sehr praktisch, denn so lassen sich all die aktuellen Eroberungen des Schürzenjägers direkt vor Ort dokumentieren: mia in Ispagna son già mille e tre.
Intendant Norbert Hilchenbach führt Regie und unternimmt diese behutsame Aktualisierung, die völlig problemlos zu Mozarts zeitlosem Meisterwerk passt. Don Giovanni leicht dandyhaft, Leporello ein treuer, etwas schlichter Schluffen – ein überzeugendes Gespann. Es bewegt sich auf einer Fläche, die von zwei hohen langen und beweglichen Bühnensegmenten geprägt ist: marmorne Wände, auf der einen Seite glatt, auf der anderen mit Nischen versehen, jeweils mit einer Tür, die nach drinnen/draußen führt. Diese Grundidee, die Jan Bammes da gefunden hat, ermöglicht sehr flexible Raumkonstellationen, die sinnfällig zu immer wieder neuen Orten werden: die Hausfassade, hinter der Donna Anna lebt, die Straße, auf der nach Don Giovanni gesucht wird, dessen Anwesen, in dem man fröhlich feiert, schließlich auch das Grab des Titelhelden, indem sich beide Wände aufeinander zu bewegen und ihn wie eine fleischfressende Pflanze verschluckt – ein beeindruckender Moment!
Beeindruckend in dieser Inszenierung ist aber auch all das, was musikalisch geschieht. Florian Ludwig am Pult des Philharmonischen Orchesters Hagen entscheidet sich für einen Interpretationsansatz, der sich an der historischen Aufführungspraxis orientiert. Die Musikerinnen und Musiker ziehen mit an diesem Strang, allesamt! Ein luftiger, durchsichtiger Klang entsteht, der nirgends knallig wird, allenfalls wo das Blech mal richtig aufdreht. Erstaunlich kompetent bedienen die Bläser ihre Naturinstrumente. Insgesamt spricht das Orchester eine lebendige, aussagekräftige und an Nuancen reiche Sprache. Fabelhaft!
Und erst die Sängerinnen und Sänger! Wieder einmal mehr beweist dieser Don Giovanni, von welch unschätzbarem Wert ein über Jahre gewachsenes Ensemble ist, wie das Theater Hagen es zu bieten hat. Danach muss man an Häusern vergleichbarer Größe weit und breit lange suchen.
Raymond Ayers glänzt in seiner Rolle als ziemlich arroganter Don Giovanni, dem egal zu sein scheint, welche Verletzungen er manchen Frauen zufügt. Ayers mobilisiert seinen klangschönen und konditionsstarken Bariton, gibt ihm unterschiedliche Farben und ist auch in seiner schauspielerischen Dynamik ganz ausgezeichnet. Letzteres gilt uneingeschränkt auch für Rainer Zaun als Leporello. Der lebt immer wieder seine Liebe zum Tanzen aus, zeigt sich genervt von seinem Herrn und macht dies auch an entsprechenden Stellen stimmlich deutlich. Er ist in dieser Hinsicht der etwas Unbehauenere – was vorzüglich zum Leporello-Charakter passt. Noa Danon ist die Donna Elvira – die schon vom ersten Augenblick an keinen Zweifel an ihrem Zorn auf Don Giovanni lässt, sich dennoch vage Hoffnungen macht auf das Kitten der Beziehung, aber auch Zerlina vor dem Bösewicht warnt. Noa Danon durchlebt all diese Gefühle mit Leidenschaft. Und genau so singt sie auch: emphatisch ihr „Ah, fuggi il traditor“, scharf akzentuiert das „Ah! Chi mi dice mai“.
Eine Wucht ist Jaclyn Bermudez als Donna Anna. Ihr kraftvoller Sopran leuchtet in der Höhe, hat Substanz in allen Lagen, erweist sich in den Koloraturen als höchst beweglich. „Or sai chi l'onore“, voller Dramatik und Erschütterung, ist einer der vielen großen Momente an diesem Abend. Jeffery Krueger als Donna Annas Bräutigam bleibt bewusst etwas schlicht und steiflich, weil von der Regie eher als etwas hilflos Agierender angelegt. „Dalla sua pace“ fließt schön und elegant, vielleicht einen Hauch zu laut. Ein herrliches Pärchen auch Masetto und Zerlina: Orlando Mason ist gar nicht so sehr der tumbe Bauer. Er weiß genau, was seine Zerlina und Don Giovanni miteinander treiben – und unterstreicht dies auch stimmlich mit seinem kernigen, sicher geführten Bass. Maria Klier macht aus Zerlina ein ziemlich aufgekratztes Mädchen, immer etwas überdreht und hibbelig. Dazu passt die leichte Unruhe und das Flackern ihres Soprans. Michail Milanov schließlich trägt die Schwere und Finsternis seines Basses hinein in seine Rolle als Komtur. Hagens Don Giovanni wird nicht zuletzt getragen vom bestens präparierten Chor (Wolfgang Müller-Salow).
Dass zum Applaus des Publikums als erstes die sechs für die Bewegung der Kulissen verantwortlichen Mitarbeiter auf die Bühne traten, ist eine wunderbare Geste der Wertschätzung ihrer Arbeit seitens des Hauses.