Engagement für die Literaturoper
Seit etwa zehn Jahren gibt es die „Literaturoper Köln“, eine Produktionsstätte, angeschlossen der Musikhochschule, aus der sich auch das Ensemble rekrutiert. Initiator des Unternehmens ist Andreas Durban, Schauspieler (Festengagement 1996 bis 2002 in Bonn) und Regisseur. Er möchte dem Genre Literaturoper, welches in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Konjunktur hatte und in jüngerer Zeit noch von einem Komponisten wie Giselher Klebe hochgehalten wurde, neue Impulse geben. Theatralische Großformen hat er dabei nicht im Sinn, schon wegen der wechselnden Aufführungsorte. Im Falle der Törleß-Adaption beispielsweise genügen ihm ein Klavier und ein Harmonium als Klangteppich (Komponist Henrik Albrecht bedient die Instrumente). Die Kammeroper ist auch nicht durchkomponiert, vielmehr wechseln sich Musik und gesprochenes Wort ab, teilweise überlappend. Es wirkt noch das Prinzip der Nummernoper nach: Monologe (= Arien) und diverse Ensembles. Bis auf ein kurzes illustratives Dissonanzenabenteuer gibt sich die Musik ziemlich tonal orientiert. Gelegentliche Walzerrhythmen haben Milieucharakter, sollen vielleicht auch daran erinnern, dass der um 1900 entstandene „Törleß“-Roman von einem Wiener, nämlich Robert Musil, stammt.
Wie weit in ihm autobiografische Erlebnisse verarbeitet sind, interessiert sicherlich, kann im Rahmen der hier besprochenen Aufführung jedoch außer Betracht bleiben. Die Handlung spielt in einem Internat, seit jeher dankbarer Schauplatz für Irrungen und Wirrungen, und schildert die Lebensphase von Jugendlichen zwischen Pubertät und Erwachsen-Sein sowie die damit verbundenen Lust- und Leiderfahrungen. Vergleichbares ist unter anderem auch in Wedekinds Drama Frühlings Erwachen (zehn Jahre früher) oder auch Bruckners Krankheit der Jugend (30 Jahre später) zu finden.
Ein Diebstahl des Zöglings Basini ist Anlass für die Mitschüler Beineberg und Reiting, sich als Richter aufzuspielen und Strafmaßnahmen von besonderes drakonischer Art zu vollziehen. Sie bringen, aus durchaus unterschiedlichen Überzeugungen übrigens, Basini dazu, sich ihnen komplett zu unterwerfen, teilweise auch sexuell. Törleß verurteil Basinis Vergehen ebenfalls. Bei dem ganzen Unternehmen macht er neugierig, aber doch nur zögerlich mit, zeigt sich zuletzt sogar angeekelt. Die ganze Sache fliegt auf, eine Lehrerkonferenz erteilt harte Verweise, Törleß kehrt nach Hause zurück. Über den weiteren Lebensweg der „Täter“ verlautet nichts.
In Musils Roman stehen keine äußerlichen Begebenheiten im Vordergrund, sondern psychologische Motivationen, menschliche Abgründe werden ausgelotet. Da will jedes Wort, jede noch so verästelte Anmerkung verstanden sein. Bei der Veroperung geht schon in diesem Bereich so Manches verloren, und ob die Musik wirklich Vertiefendes beiträgt, ist eher zweifelhaft. Auch die szenische Umsetzung überzeugt nicht durchwegs, kommt um Längen, Leerstellen und Verlegenheiten nicht ganz herum. Bleibt als Positivum die Herausforderung für junge Sänger, praxisorientiert zu arbeiten und sich mit Spielaufgaben vertraut zu machen, welche über traditionelle Darstellungsformen hinausgehen. Das junge Ensemble ist ausnahmslos zu loben, einzelne Qualitätskriterien sollten nicht herausgestrichen und schon gar nicht gegeneinander ausgespielt werden. Namensnennungen dürfen unterbleiben. Viel Beifall sorgte in der besuchten Vorstellung für gerechte Anerkennung. Die insgesamt sechs Aufführungen fanden im Freien Werkstatt Theater im Rahmen des Sommerblut Festivals statt.