Trauminseln aus dem Honigtopf
Das Kölner Acht Brücken Festival, Nachfolger der Musiktriennale, ist in diesem Jahr ganz dem 1912 geborenen amerikanischen Komponisten John Cage gewidmet. Zusammen mit der Kölner Oper wurden im Mülheimer Palladium seine Europeras 3 bis 5 produziert. Das fünfteilige Werk, in den 80er Jahren als Auftragskomposition der Oper Frankfurt entstanden, ist eine charmante Quadratur des Kreises: Eine Hommage an die Oper mit den Mitteln der Oper, ohne Oper zu sein, gleichzeitig denkbar einfach und ungeheuer komplex.
Die ersten beiden Teile verlangen ein großes Orchester, Teil 3 kommt mit sechs Sängern, zwei Pianisten und fünf Plattenspielerbedienern aus. Wir erleben die Mitglieder des Kölner Opernstudios: Sänger, die Sänger spielen, die bekannte Arien – von Mozart bis Wagner, von Rossini bis Puccini, von Tschaikowsky bis Verdi - singen, im Kostüm und mit der Attitüde einer ganz anderen Rolle, oft nebeneinander her oder durcheinander. Dazu intonieren auch die Klaviere Opernmelodien, erklingen alte Opernplatten. Alle theatralischen Komponenten sind deutlich voneinander getrennt und klingen frisch zusammen auf der unebenen Podestbühne mit den vielen verschiedenen Wirtschaftswunderlampen, die nach einem nicht nachvollziehbaren Muster an- und ausgehen. Ein Zufallsverfahren aus dem chinesischen I Ging hat Cage den Weg gewiesen. Die wie zufällig auf dem Boden angeordneten Zahlen scheinen darauf zu verweisen. Der Zuschauer spielt „Erkennen Sie die Melodie?“, freut sich an witzigen Überlagerungseffekten und staunt über die Musikalität, Vielseitigkeit und Spielfreude des Tenors Gustavo Quaresma, des Bass-Baritons Sevag Tachdjian, des Bassisten Young Doo Park, der Mezzosopranistin Sandra Janke, der leichtfüßig eleganten Sopranistin Ji-Hyun Ahn und ihrer vor Spielfreude geradezu berstenden Fachkollegin Rachel Bate.
Etwas scheinbar Unmögliches ereignet sich: Oper, befreit vom Ballast der äußeren Handlung, aber es fehlt nichts. Die Faszination Sologesang, die Monade Diva/Divus bricht sich ungehindert Bahn mit schmelzender Sinnlichkeit. Man bekommt kaum genug davon.
Für den vierten Teil stellt Regisseurin Elena Tzavara ihr imaginäres Objektiv schärfer. Einem Pianisten steht ein einziges Grammophon gegenüber – und zwei Sänger, Harlekin und Colombine, in einem Wald aus Luftballons, Bild für flüchtige Hoffnungen und große, unerfüllte Sehnsüchte. Sevag Tachdjian und die unerhört talentierte Koloratursopranistin Gloria Rehm verführen sich gegenseitig mit der Macht des Gesangs, irren umeinander herum und sterben aneinander, ohne Pathos, einfach so, folgerichtig und schön.
Noch stiller wird es im fünften Teil. Die Zahlen sind mit einer Erdschicht bedeckt. Gloria Rehm und Sandra Janke sind Theatergeister, gefangen im Raum zwischen Mensch, Sänger und Rolle. Wie blind tasten sie sich beladen über die Bühne, versuchen sich immer wieder Erleichterung zu verschaffen, indem sie sich vor einem imaginären Publikum verbeugen. Frei, leicht wird ihnen nur, wenn sie singen. Die Pamina-Arie aus der Zauberflöte gegen ein Jazz-Bett aus dem Hintergrund etwa – und gegen den Prinzen Orlofsky aus der Fledermaus. Die Finger des Pianisten Reinhard Lauffen fliegen über die Tasten, aber es ist nichts zu hören, dafür singt ein ins Helle verzerrter Bariton aus dem Trichter die große Troubadour-Arie aus dem zweiten Akt. Zum Ende erklingt Puccini, der solo, ohne Begleitung gesungen, fast obszön nackt klingt, am Klavier, die Sänger bewegen sich nach hinten, das Licht erlischt.
Diese leider nur zweimal aufgeführten Europeras sind ein intimer, großer Abend, beseelt von der Kraft des singenden Menschen, angefüllt mit Lebensfreude und der Schönheit der Opernmusik. Die ersten beiden Teile eröffnen – in der Regie des Intendanten Heiner Goebbels - die diesjährige Ruhrtriennale. Nicht verpassen!