Sinnvolle Zeitverlegung
Die Querelen um die schwierige Finanzlage der Stadt Köln im Allgemeinen, um die daraus resultierende Krise an der Oper im Besonderen sind längst in die breite Öffentlichkeit gedrungen. Gegenwärtig ist es so, dass nach einem zusätzlichen Subventionsschub (welcher dem hoch geschätzten, manchen nur nicht immer ausreichend diplomatischen Intendanten Uwe Eric Laufenberg jedoch weiterhin nicht ausreicht) „70% der Opernsaison [2012/13] stehen“, so Kulturdezernent Georg Quander, und der Rest als weitgehend gesichert gilt. Doch selbst wenn diese Prognose in günstigster Weise Wirklichkeit wird, sieht die Zukunft immer noch düster aus. Selbst die sehr kompromisswillige Karin Beier, Intendantin des benachbarten Schauspiels, warnt und versteht ihre Bereitschaft zu weiteren Reduktionen in der nächsten Saison (von den geplanten, eigentlich auch schon zu wenigen Premieren werden wohl noch zwei fortfallen müssen) nur als eine limitierte. Denn ohne ein dauerhaft stabiles Repertoire würde der Spielbetrieb ernsthaft gefährdet sein. Was soll dann noch der 2015 fertig sanierte Theatergebäudekomplex am Offenbach-Platz?
Während sich das Schauspiel auf die sog. „Expo XXI“ als neue Heimstätte einrichtet (zwei unterschiedlich große Säle mit insgesamt weniger Plätzen als früher) und weiterhin die externe „Halle Kalk“ bespielt, ist die Oper an fünf Orten präsent. Die Kinderoper verbleibt, falls sie nicht abstirbt, im südstädtischen „Alten Pfandhaus“, für Wiederaufnahmen werden wieder das stilvolle Oberlandesgericht (Mozarts Tito) und die Trinitatiskirche (Brittens Turn oft he Screw) herangezogen. Das rechtsrheinische „Palladium“ bleibt weiterhin stark frequentiert, als Hauptspielstätte wurde jetzt das ehemalige Musical-Gebäude, zu „Oper am Dom“ umgetauft, mit Puccinis Tosca eingeweiht. Das Haus befriedigt alle theatertechnischen Anforderungen weitestgehend und ist durch die Nähe zum Bahnhof günstig gelegen, wichtig für die nächsten drei Sanierungs-Jahre. Großer Orchestergraben, breite Bühne, ein noch breiterer Zuschauerraum, dazu ein weitläufiges Foyer.
Tosca also im Cinemascope, durchaus passend für dieses zwar auch intime, insgesamt jedoch reißerische Werk. Regisseur Thilo Reinhardt, welcher die Handlung in die Zeit des Faschismus verlegt (man muss also den Namen „Napoleon“ überhören), verstärkt die Vorgänge zum Brutalen hin, wenn etwa Cavaradossis Folterung in eine regelrechte Kreuzigung mündet oder zuletzt erst ein nachträglicher Kopfschuss seinem Leben ein Ende setzt . Da wird die Grenze des Erträglichen erreicht, aber die Geschehnisse in den „tausend“ Jahren vor 1945 waren kaum anders. Im 3. Akt wird im übrigen nicht nur Cavaradossi exekutiert, sondern gleich eine ganze Reihe politischer Häftlinge.
Die Bühne Paul Zollers zeigt durchgehend (und schon vor Beginn der Aufführung) das Innere einer Kirche. Menschen haben sich vor dem Kriegswüten hierher geflüchtet, lauschen einer Messe, welche der Priester zelebriert. Dieser bleibt bis zum Schluss in das Geschehen integriert, einer, dem sein göttliches Weltbild zerstört wird, was bereits beginnt, wenn sich Scarpia beim „Te Deum“ auf dem Altar stehend mit Hostien überschüttet. Die Konturen des Zynischen werden von Reinhardt fast bis zur Schmerzgrenze geschärft. Für die Vorgänge nach dem „Vissi d’arte“ (bei dieser Aufführung sollte sich Arienbeifall eigentlich verbieten) hält der Regisseur einen raffinierten, geradezu Hitchcock-würdigen Ablauf parat. Scarpia ist nach Toscas Pistolenschuss keineswegs tot (nur Streifschuss oder nicht getroffen?), spielt als „Geist“ ein letztes groteskes Spiel mit der angstdurchschüttelten Frau. Der Beischlaf scheint doch noch stattzufinden. Erst als Scarpia bei heruntergelassenen Unterhosen die Worte „E avanti a lui tremava tutt Roma“ hört, ist sein Ego unterminiert. Er versucht einen Abgang unter Lachen, aber beim Aufschrei des Orchesters fällt dann doch noch der tödliche Schuss.
Sehr differenziert wird von Reinhardt die Titelfigur ausgeleuchtet. Die emotionalen Stadien zwischen hysterischer Eifersucht, hingabewilliger Liebe und exaltierter Wut werden von Takesha Meshé Kizart aber auch körperhaft hinreißend gespielt. An ihrer Arie scheint sie fast zu ersticken. Zuletzt kein Todessprung in die Tiefe (die Engelsburg gibt es ja nicht), vielmehr sinkt Tosca nach ihrem tödlichen Pistolenschuss in die Arme des Priesters.
Markus Stenz, der nach Verdis Trovatore (konzertant in der Philharmonie) erneut eine italienische Oper dirigiert (sonst nicht sein Repertoire), benötigt den 1. Akt, um sich in den schonungslosen Realismus von Puccinis Musik einzufühlen, das „Te Deum“ wirkt da wie ein interpretatorischer Katalysator. Ursprünglich war für die Titelpartie Anja Harteros vorgesehen, welche schon Leonora verkörpert hatte, doch sagte sie aus familiären Gründen ab. Takesha Meshé Kizart, in Köln schon als Bartóks Judith erfolgreich, verfügt nicht über eine cremig weiche Stimme à la Freni (da darf man auf Kristine Opolais in späteren Vorstellungen gespannt sein), aber gerade wegen gewisser vokaler Kantigkeiten (und dank äußerlicher Attraktivität) ist sie eine vibrierend intensive Figur.
Als Cavaradossi steigert sich Calin Bratescu nach etwas neutralem Beginn leidenschaftlich und singt zunehmend differenziert. Für Scarpia kann keine Stimme voluminös und schwarz genug sein. Oliver Zwarg besitzt ausreichende physische Kapazitäten, doch hilft ihm auch stark seine gestalterische Intelligenz und Variabilität. Tiziano Bracci wird als Mesner fast zu einer Hauptfigur. In Nebenpartien bewähren sich Dennis Wilgenhof (Angelotti), Martin Koch (Spoletta), Sévag Tachdjian (Sciarrone) und Rachel Bate, vom Hirten zur Gräfin Attavanti umfunktioniert.