Übrigens …

Der fliegende Holländer im Köln, Oper

Romantik ohne Erlösung

Die vorläufig letzte Premiere im Haus am Offenbachplatz fand unter denkbar ungewöhnlichen Umständen statt: Die CDU warb mit Flugblättern für eine ausreichende Finanzierung der Kölner Oper – und um Stimmen für die Landtagswahl, der Chor sang vor und nach der Vorstellung ein glockenrein intoniertes Protestlied gegen die aktuelle Haltung der Stadt, und das Publikum feierte seinen Intendanten Uwe Eric Laufenberg, dessen Verbleib nach wie vor offen ist, nach der Vorstellung minutenlang. Sein Streit mit Kulturdezernent und Bürgermeister schwelt weiter. Nichts Neues aus Köln.

Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung hingegen ist eine Überraschung. Der einstige Regie-Berserker, dessen Arbeiten sich stets durch ein einzigartiges Spannungsverhältnis von Energie und Konzentration sowie klare gedankliche Verankerung in der Aktualität auszeichneten, geht den Holländer komplett von innen an. Bei ihm ist die Titelfigur keine Gestalt aus Sentas Träumen, überhaupt keine Projektions- oder gar Symbolfigur, sondern „einfach“ ein Mensch, der seit sehr langer Zeit seine Heimat sucht, wildisch ungewaschen, im Zottelmantel, so untot, dass ihm ein Schießgewehr nichts mehr anhaben kann.  Bei seinen alle sieben Jahre stattfindenden, stets unglücklichen Landgängen begrüßt und begleitet ihn sein Partner und Gegenspieler „Samiel“,  ein janusköpfiger Teufel in Weibsgestalt, der sich gerne, mit blauem Marienschleier als heilige Hure kostümiert. Diese hinzuerfundene, stumme, von Gabi Dauenhauer mit reizvoll verbrauchtem Charme ausgestattete Figur macht sich am Ende – mit ihrer Lieblingsmethode „Verführung durch Mutterbrust“ – an den verzweifelten Jäger Erik heran, mit dessen Gewehr sich Senta just erschossen hat. Verwirrung statt Erlösung bestimmt den Schluss.

Hilsdorf erzählt die Geschichte klar in den Bildern von Dieter Richter, die in ihrem Wechsel zwischen Industriellenvilla und Meerpanorama der maroden Kölner Bühnentechnik ein Maximum an Spektakel abtrotzen. Der Regisseur führ die Figuren hochprofessionell, dennoch lässt vieles seltsam kalt, etwa das Lied des Steuermanns, trotz Jeongki Chos bildschön timbrierten, in der Höhe etwas tremolierenden Tenors. Bezwingend gelingt vor allem die Arbeit mit dem fantastisch singenden Chor, der fast volkstheaterhaft agiert, natürlich und differenziert mit wenigen, klar ausagierten Übertreibungen. So lässt Hilsdorf zu Beginn des dritten Aktes die Besatzung des Holländers auftreten, von Renate Schmitzer in Fetzen irgendwo zwischen Tanz der Vampire und Fluch der Karibik gewandet. Die Faszination des Fremden zieht die Chordamen hin zu diesen Exoten, die sich die Frauen gefügig machen, indem sie ihnen rote Tücher übers Gesicht legen.

Von den Solisten begeistert vor allem Lars Woldt. Er scheint seine Partie im kleinen Finger zu haben, phrasiert eigenständig und flexibel und liest den Daland von Lortzing her. Wie ein avancierter Baculus aus dem Wildschütz führt er die Dämonie der Beschränktheit vor, verfügt aber auch, wo nötig, über des Basses Urgewalt. Dieses Niveau erreichen die anderen Sänger nicht. Thomas Piffka singt einen geraden, musikalischen Erik, Diane Pilcher eine solide, überraschend damenhafte Mary.

Samuel Youn gelingt in der Titelrolle ein ordentliches Rollendebut. Nach leichten Problemen mit der vertrackten Auftrittsarie, gewinnt er an Sicherheit und gestaltet kraftvoll, wirkt aber gerade im großen Duett des zweiten Aktes ein wenig ausdrucksneutral. Seine Partnerin Erika Sunnegardh punktet als ganz in Weiß gekleidete Senta mit einer hell leuchtenden, herrlich flutenden Höhe, der allerdings eine schmale Mittellage und kaum stimmliches Fundament entgegen stehen. Beide agieren oft mit beträchtlichem Überdruck.

Das Gürzenich-Orchester kommt nach sehr unordentlich artikulierter Ouverture nur langsam in die Spur, folgt dann allerdings aufmerksam Markus Poschners etwas unruhig wirkender Lesart. Er scheut den romantischen Aufschwung keinesfalls, liest das Stück aber hauptsächlich von Weber, Marschner und Lortzing her, macht viele Unterstimmen überraschend hörbar, vermag aber den ganz großen Bogen – noch – nicht zu spannen.

Trotz der beschriebenen Einwände im Detail ist diese Produktion, mit der ein erfreulich groß dimensioniertes Schulprojekt verbunden ist, ein lebendiger Nachweis der außerordentlichen Leistungsfähigkeit der zum Zankapfel der Kulturpolitik gewordenen Kölner Oper.