Übrigens …

Mörder Kaspar Brand im Duesseldorf Oper

Woyzeck und die Gastronomie

Anno Schreiers Oper ist eine Fantasie über eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. In Das Fass Amontillado mauert ein Mann einen verhassten, überlegenen Konkurrenten lebendigen Leibes im Keller ein. Genau das erlebt der Zuschauer im ersten Bild von Mörder Kaspar Brand. Später stellt sich jedoch heraus, dass die grausige Tat lediglich eine Art Wunschtraum war. Kaspar Brand ist ein erfolgloser, leidenschaftlicher Restaurantbesitzer, Moritz Sandelmann ein erfolgreicher Gastronomie-Tycoon, der zudem früher einmal mit Brands Frau Nadja verbandelt war. Brand hält seine Abhängigkeit und Erfolglosigkeit nicht aus, die über 75 Minuten auf der Bühne vorgeführt wird und schließlich zum Mord führt, aber nicht, wie zu Beginn gezeigt, an Sandelmann, sondern an den einzigen Menschen, die von Kaspar Brand abhängig sind: seiner Frau und seiner kleinen Tochter.

Es ist eine grausige, aber durchaus plausible Geschichte, die Librettist Philipp J. Neumann da auftischt. Abgesehen von einigen gestelzten Formulierungen ist eine spannende Opernvorlage entstanden. Dass Neumann auch Inszenierung und Bühnenbild anvertraut wurde, erweist sich im Nachhinein als etwas unglückliches Arrangement. Zu sehr versucht der Regisseur die Qualität des Librettos auszustellen, fokussiert sich darauf seinen Text szenisch zu illustrieren, gar zu verdoppeln, erzählt zu wenig und ergreift gar nicht. Die Gewaltszenen im dunklen Keller finden hinter einem Vorhang statt, in jeder Hinsicht weit entfernt vom Zuschauer. Die als visuelle Metapher gewählte Zirkusmanege ist weder distanzierender Ironisierung oder symbolistischer Überformung noch einer zupackenden Konkretisierung wirklich dienlich. Immerhin ermöglicht sie einige gelungene szenische Tableaus.

Anno Schreiers Musik ist eine Art Kompendium des 20. Jahrhunderts, von Henze bis Debussy, von Strauss bis Berio. Hörbar Hauptinspirationsquelle der Komposition sind die Opern von Alban Berg. Die unruhigen Rhythmen, die dramatischen Klangballungen und das Changieren zwischen tonalen und atonalen Skalen weisen deutlich auf das große Vorbild hin. Schreier hat einen ausgeprägten Sinn für die Farben des Orchesters, gerade mit Percussion und E-Gitarre gelingen ungewöhnliche Klangwirkungen, setzt diese aber konventionell und oft illustrativ ein. Den Gang in den Keller begleitet die Tuba, ist von Treue die Rede, umspielen sich zwei Celli – sehr originell ist das nicht.

Wen-Pin Chien, wie seine Musiker gewandet wie ein Zirkusmusikant, sorgt für eine reibungslose, klangschöne Wiedergabe, das Orchester und der Kammerchor der Robert-Schumann-Hochschule folgen ihm präzise und durchaus enthusiastisch. In den, musikalisch kaum profilierten, kleinen Rollen überzeugen Iryna Vakula, David Jerusalem und Ovdiu Purcel. Richard Sveda gibt den Sandelmann angemessen hemmungslos in Spiel und Gesang. Die wenigen intensiven Momente in Partitur und Inszenierung bleiben James Bobby in der Titelrolle vorbehalten. Obwohl gesundheitlich angeschlagen, vermag er die Nöte, die verzweifelte Sehnsucht nach großem Leben und Zufriedenheit, spannend zu gestalten. Gerade in stillen Momenten, im hilflosen Brüten findet er eine erstaunliche Nähe zu Büchners und Bergs berühmtem Woyzeck. Brands Frau ist bei Anke Krabbe hervorragend aufgehoben. Ihre Figur ist die Skizze einer gezähmten, wahrhaftigen und zärtlichen Lulu. Anke Krabbe beglaubigt diesen Ansatz fabelhaft, gestaltet sensibel mit klarer, warmer Tongebung, hat aber innerhalb des Stückes nicht genug Raum, um wirklich Charakter zu werden.

Mörder Kaspar Brand ist die erste Uraufführung der Intendanz Christoph Meyer und leitet eine veritable Reihe ein, was uneingeschränkt zu begrüßen ist. Im März 2013 geht es weiter mit Helmut Oehrings Holländer-Fantasie zum Wagnerjahr SehnSuchtMEER. Vielleicht wird hier mit Komposition und Inszenierung mehr riskiert. Es könnte sich lohnen!