Freiheit
Dieser Darryl van Horne, er kommt wie gerufen, um frischen Wind in die miefig-piefige Atmosphäre von Eastwick zu bringen. Ein bisschen Rocker, ein bisschen Playboy, ein bisschen Großkotz – die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt irgendwo in der amerikanischen Provinz sind fasziniert von diesem Typen aus New York, der mal eben eine leerstehende alte Villa kauft und sich da niederlässt. Nur eine fühlt sich von Anfang an empfindlich gestört: Felicia Gabriel, die stockkonservative Bürgermeisterin. Doch nicht lange, und die Stimmung in der Bevölkerung kippt und wendet sich gegen Darryl van Horne. Weil er gegen die „guten Sitten“ verstößt!
Die Hexen von Eastwick, das Musical von Dana P. Rowe (Musik) und John Dempsey (Buch und Songtexte) nach dem Roman The Witches of Eastwick von John Updike ist ein leuchtendes Beispiel für die Enge eines festgefügten Moralkodex’ und seine Aufsprengung. Luft zum Atmen, Selbstbewusstsein, das Gefühl der Freiheit... davon profitieren gleich drei geschiedene und dadurch stigmatisierte Frauen aus Eastwick, die „Hexen“, die dank van Horne ganz neue Erfahrungen mit sich selbst, ihrem Körper und vor allem auch ihren Lüsten und Leidenschaften machen. Eine geradezu therapeutische Wirkung entfaltet dieser mit Goldkettchen behängte und in spitzen Cowboy-Schuhen daherkommende Typ. Jane Smart entdeckt ihre wahre Musikalität auf ihrem Cello, Alexandra Spofford lernt zu ihrem etwas zu rundlichem Körper zu stehen, Sukie Rougement überwindet ihre Sprachbarriere. Weil alle drei statt öffentlicher Ablehnung Wertschätzung verspüren.
Darryl van Horne ist aber auch etwas Teuflisches, ein Meister der Schwarzen Magie. Das bekommt Bürgermeisterin Felicia Gabriel zu spüren, die schlichtweg telepathisch malträtiert wird. Dass ihr Gatte Clyde sie mit dem Schürhaken umbringt, er sich anschließend selbst, ist beziehungstechnisch nur folgerichtig, bringt die Stadt aber in Aufruhr. Van Hornes drei Geliebte waren aber inzwischen auch folgsame Schülerinnen der Magie, sind geplagt von ihrem schlechten Gewissen wegen der beiden Todesfälle – und geben ihrem Verführer einen Korb. Der Rest ist schnell erzählt: Van Horne fühlt sich verlassen und verraten, sucht sich mit Jennifer eine neue Braut. Doch der Traualtar mutiert zur Hölle, die ihren Schlund aufreißt und den Guten verschlingt. Immerhin profitieren die drei „Hexen“ nach wie vor von der quasi heilsamen Begegnung mit ihm.
Gil Mehmert inszeniert im Großen und Ganzen eher unspektakulär, zeichnet scharfkantig Typen einer ideologisch verengten Gesellschaft, setzt auf die Kraft der Bewegung und kann sich vor allem verlassen auf eine so einfache wie abwechslungsreiche und ansprechende Bühne: zwei knorzige Baumskelette, eine Treppe – und viele Illustrationen, die als Filmprojektion ablaufen und die wechselnden Spielorte sinnfällig machen. Verlass ist aber auch auf die sängerische Kompetenz dieser Inszenierung bis hinein in die kleinen Rollen. Kristian Vetter gibt den Magier Darryl van Horne, Gudrun Schade ist die anstrengende Bürgermeisterin, Joachim G. Maaß ihr bemitleidenswerter Gatte. Jeanette Claßen als Jane Smart, Stefanie Dietrich als Alexandra Spofford und Anke Sieloff als Sukie Rougement sind die drei Hexen, gesanglich wie darstellerisch rundweg überzeugend.
Die Musical-Combo im Orchestergraben, von Jürgen Grimm geleitet, trumpft auf mit knackigen Klängen, mitunter etwas zu dröhnend. An musikalischer Substanz hat das im Jahr 2000 uraufgeführte Stück, das hier in Gelsenkirchen seine deutsche Erstaufführung erlebt, nicht allzu viel zu bieten. Eher wirkt es wie ein Pasticcio dessen, was Rowes Komponistenkollegen in den letzten zwanzig, dreißig Jahren vorgelegt haben. Spritzig und temperamentvoll ist die Musik gleichwohl – und trifft den Nerv des Publikums, das begeistert applaudiert.