Alcina im Köln, Oper

Barockes, im Heute nicht ganz angekommen

Die Situation an der Kölner Oper gleicht einem Wundfieber, gleichzeitig tobt ein Kampf Einer gegen Alle. „Alle“, das ist die Stadt mit ihren politischen und kulturellen „Machern“, der „Eine“ ist Uwe Eric Laufenberg, von allen, welche die (speziell Kölner) Oper lieben, adoriert, von Taktikern hingegen kritisiert und angefeindet. Vor einigen Tagen erschien in einer Kölner Tageszeitung ein Interview mit dem Opernintendanten, welches an klaren Aussagen nichts zu wünschen übrig lässt. Zitatauswahl: „Der Kulturausschuss ist überhaupt nicht in der Lage, über die Notsituation der Bühnen konkret nachzudenken“ (das Schauspiel ist bei dieser Formulierung mit einbezogen) - „Dieser Dilettantismus ist himmelschreiend“ - „In Köln soll man irgendwie immer ganz nett zueinander sein, und die sachliche Orientierung wird als persönlicher Angriff verstanden“. Es gibt Gespräche über eine Intendanz an anderen Häusern, aber Laufenberg würde gerne in seiner Geburtsstadt Köln bleiben. Auch nach einem persönlichen Gedankenaustausch wäre es hybrid, in diesem heiklen Konflikt wohlmeinende Ratschläge und Verhaltungsmaßregeln erteilen zu wollen, zumal Laufenberg gegenüber Vorwürfen kaufmännischer Nachlässigkeit sinnfällig zu kontern weiß. Man muss jetzt wohl einfach abwarten, was sich (vor allem rechtsanwältlich) in nächster Zeit tut, und was an weiteren Regelungsterminen ansteht. In jedem Falle ist und bleibt die Situation bizarr.

Der qualitative Befund über die letzte Premiere der Saison fällt unter solchen Umständen im Grunde nur wenig ins Gewicht. Dennoch hätte man sich gewünscht, dass bei Händels Alcina ein glückhafteres Fazit zu ziehen wäre. Es gilt allerdings zu sortieren. Sängerisch liegt die Produktion an der Spitze, von dem vokal kränkelnden Wolf Matthias Friedrich (Melisso) abgesehen. Und alle Künstler (bis auf Franziska Gottwald/Ruggiero) liefern Rollendebüts, eine „Spezialität“ des Hauses. Die musikalische Leitung liegt bei Peter Neumann, „Kölner“ und „Alte Musik“-Spezialist wie auch Konrad Junghänel, welcher mit den bisherigen Produktionen dieses Repertoires betraut war. Neumann sorgt für theatralisch-dramatische Klangenergie, für lebendige Tempi, stilistische Sauberkeit, soweit es die Kompetenz des Gürzenich-Orchesters zulässt. Der Klangkörper ist in Sachen Barock freilich wenig erfahren, muss immer wieder quasi am Nullpunkt ansetzen. Es war allerdings auch von sehr limitierten Probeterminen zu hören. So wirkt vieles eher angeleitet als erfüllt, und die Orchestergröße wäre fraglos ohne Einbuße reduzierbar.

Bei den Sängern erfährt Claudia Rohrbach in der Titelpartie einmal mehr die unverbrüchlichen Sympathien des Publikums. Welch eine Künstlerin aber auch: im Ausdruck bezwingend, darstellerisch eindrucksvoll. Von der Koloratur im engeren Sinne wird sie sich aber wohl langsam verabschieden wollen. Bei aller Versiertheit klingen einige Passagen schon etwas erkämpft, während die Klageszenen freilich unwiderstehlich narkotisch klingen. Anna Palimina ist mit ihrem etwas kühlen Morgana-Sopran inzwischen die größere Perfektionistin. Franziska Gottwald und Katrin Wundsam (Bradamante) wetteifern schönstimmig um glaubwürdigen Affektausdruck, wie ihn auch Adriana Bastidas Gamboa (Oberto) spüren lässt, die zuletzt auch mit der Mrs. Jessel (The Turn oft the Screw) nachwies, dass sie zu Recht vom Opernstudio ins Ensemble übernommen wurde. Mit John Heuzenroeder (Oronte) wird das Sängerteam glücklich ergänzt.

Regisseur Ingo Kerkhof (der sich vor Ort mit Wozzeck kompetent einführte) weiß sich klug über die Verwandlung der originalen barocken Zauberinsel in eine moderne Seelenlandschaft zu äußern. In der von einer nüchternen Rückwand begrenzten Bühne (Anne Neuser) und mit den etwas hilflos modernen Kostümen (Stephan von Wedel) vermag er seine Interpretationsabsichten über den Wechsel von Gefühlen aber nicht plausibel genug umzusetzen. Die Personen werden oft nur wie zufällig aufeinander bezogen, wenn es beispielsweise gilt, endlich einmal Bewegung in die inszenatorische Starre zu bringen. Das emotionale Zusammenbrechen der Personen wirkt in der ensemble-intensiv gestalteten Schlussszene besonders bemüht und verlegen, erschließt sich allenfalls durch den interpretatorischen Kommentar im Programmheft. Da haben die bisherigen Kölner Produktionen barocker Werke (Rinaldo, Poppea, Ulisse) wesentlich mehr, freilich auch nicht immer unanfechtbar, geleistet. Bei Alcina glätten die Sängerleistungen diesen Eindruck ein wenig.