Übrigens …

Mörder, Hoffnung der Frauen / Sancta Susanna / Das Nusch-Nuschi im Oper Bonn

Nichts als Obsessionen

Es ist eine denkbar knappe Lebensskizze, die der junge Paul Hindemith 1922 zu Papier brachte, geschrieben für die „Neue Musik-Zeitung“. Geburt, Studium, Beruf, ein paar launige Sätze – das war’s. Eine Wendung indes beschäftigt im Grunde bis heute die Hindemith-Exegeten: „Als Komponist habe ich meist Stücke geschrieben, die mir nicht mehr gefallen ... auch drei einaktige Opern“. Wer will das noch verstehen? Kann nachvollziehen, dass Hindemiths genialische, expressionistische, teils parodistische Erstlinge Mörder, Hoffnung der Frauen, Sancta Susanna und Das Nusch-Nuschi von seinem Schöpfer mit einem Bannfluch belegt wurden? Der in einem völligen Aufführungsverbot gipfelte. Die Folge: Erst 1993 stand dieses Triptychon wieder auf dem Programm – am Theater Trier. Dann folgte die Kölner Oper.

Es scheint nach wie vor schwierig, angesichts der historischen Gemengelage der 20er und 30er Jahre, also der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, des Komponisten Abkehr von seiner mutigen Experimentierlust zu ergründen. Mehrere Faktoren spielten wohl eine Rolle. Zuerst vielleicht der Skandal, den die Uraufführung der drei Einakter (1922 in Frankfurt/Main) verursachte. Diese exzessive, flirrende, verstörende, teils schwüle, teils harsche Musik mochte den bürgerlichen Opernbesuchern lärmend und ungeordnet in den Ohren klingen. Dass Hindemith sich mehr oder weniger deutlich (u.a. mit einem frechen König-Marke-Zitat) an Wagner abarbeitete, tat ein übriges.

Dass bald darauf die braunen Machthaber den Neutöner mit dem Verdikt „Entartete Musik“ brandmarkten, ihn letzthin ins Exil zwangen, dürfte ebenfalls von Bedeutung sein. Die Tragik ist allerdings, dass Hindemith – zu bemerken schon an mancher Stimmführung in seinem Triptychon – die tönende Materie in klare Strukturen fassen wollte. Nach dem Ende der Diktatur bestimmte indes die serielle Schule mit ihren eigenen Ordnungsvorstellungen die Debatte – der einstige Bürgerschreck, vor seiner Experimentierlust einst zurückschreckend, galt als altmodisch.

Wie auch immer: Hindemiths Trias heute aufzuführen bedeutet, aufregendes Musiktheater zu präsentieren. Das hat nun die Oper Bonn getan. In eindringlichen Bildern. Mit ungeheurer Spielfreude. Das Dramatische psychologisch ausdeutend, Burleskes auf die skurrile Spitze treibend. Niemand wohl kann sich an diesem Abend dem Sog, der Wucht, der Farbenpracht und auch süßlichen Seligkeit der Musik entziehen. Weil das Beethoven Orchester Bonn unter der emphatischen Leitung Stefan Bluniers jede Phrase auskostet, nichts dynamisch einebnet, das Expressive in aller Härte, Pracht und Kälte offenlegt.

Das beginnt mit den schrillen Blechbläserdissonanzen und den kantigen Schlagwerkmarkierungen in dem Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen. Hindemith hat hier nach Oskar Kokoschkas gleichnamigem Schauspiel eine so archaische wie äußerst suggestive Musik geschrieben. Für einen Geschlechterkrieg, der in höchstes Begehren umschlägt, für ein blutiges Ringen, das „Der Mann“ und „Die Frau“ vollführen. Auf der Bühne Raimund Bauers, der in eine Art Atelier mächtiges Gitterwerk wuchtet, oben begrenzt durch einen langen Steg, von dem aus der Chor wie in antiker Zeit das Geschehen kommentiert.

Hindemith findet abseits expressiver Schärfe für das Begehrens- und Sterbensmartyrium schillernd dramatische Farben, die bisweilen auf Zemlinsky verweisen, weitgehend aber wie entschlackter Jugendstil klingen. Intendant Klaus Weise wiederum versteht es als Regisseur, den Mann-Frau-Antagonismus in spannender Interaktion zu führen, abgeleitet aus einem Grundzustand der Obsession.

Damit arbeitet Hindemith – und mit ihm Weise – noch weit stärker in Sancta Susanna. Die Geschichte der Nonne, die sich, ihrer Körperlichkeit bewusst, der Jesusfigur am Kreuze hingibt (nach dem Drama von August Stramm), strotzt vor musikalischer Sogwirkung. Sanfte sphärische Klänge steigern sich in tönende Raserei, enden im düsteren Trauermarsch. Das streng schwarz-weiß gehaltene Bühnenbild mit den Nonnen, die von oben das blasphemische Geschehen mehr und mehr angewidert beobachten, ist herber Kontrast und doch Bestandteil eines Geschehens von knisternder Spannung.

Die ersetzt der Komponist in Das Nusch-Nuschi durch eine schwül-burleske, bisweilen irrwitzig karikierende Musik. Franz Blei schrieb das „Spiel für burmanische Marionetten“, ein Blick auf wilde exotische Liebeshändel im kaiserlichen China nebst Kastration, beendet allerdings mit einem herb-süßen Epilog, die wahre, reine Liebe thematisierend. Dass Ausstatter Raimund Bauer dies mit Varieté-Bildern der wilden 20er illustriert, mit vier Diven, denen Dorothea Wimmer prächtige Glamour-Roben zuschnitt, macht die Sache zu einem Augenschmaus. Dass zudem Klaus Weise hier munter drauflos agieren, persiflieren, affektieren lässt, verbunden mit praller Erotik, gibt dem Ganzen Elan. Und der Epilog, der gerne mal gestrichen wird, ist hier ein Sinnieren mancher Darsteller in einer Künstlergarderobe. Da sitzen sie vor dem Spiegel, dem Spiel entwunden – feingliedrig klingt die Musik aus.

So ernst, konzentriert wie lustvoll stellt sich dabei das Ensemble in den Dienst der Leidenschaften. Ausdrucksstark Mark Morouse und Julia Kamenik (Der Mann/Die Frau) im Mörder-Spiel, inbrünstig berührend Ingeborg Greiner in Sancta Susanna, wirbelwindgleich und stimmlich flexibel Roman Sadnik als Diener Tum Tum im Nusch-Nuschi.

Ein aufregendes, wichtiges Plädoyer für den jungen Hindemith, ein herausragendes Zeichen gegen dessen eigene Skepsis.