Fast sachlich
Das ist schon ein trister Raum, den Roland Aeschlimann auf die Drehbühne des Düsseldorfer Opernhauses stellt: Das fensterreiche Gebäude mit seiner glatten Fassade könnte ein antiker Palast ebenso sein wie eine Festung oder eine Ruine. Die richtige Umgebung für Richard Strauss’ Elektra in jedem Fall. Das Grau der Wände ist aber auch ein wenig aseptisch - und das kennzeichnet die Inszenierung von Christof Nel sehr gut. Die Kühle seiner Elektra, im November 2010 erstmals gezeigt im Genfer Opernhaus, bildet einen starken Kontrast zur der vor Emotionen nur so berstenden Musik von Richard Strauss.
Das ist dann gut, wenn es um die Grundkonflikte geht, die in der Mythologie angelegt sind, denn auch bei Strauss und Hofmannsthal bewegen sich die Personen unaufhaltsam ihrem Schicksal entgegen. Da Nel die Geschichte fast sachlich erzählt, werden diese Konflikte entpersonalisiert und verallgemeinert. Mit diesem Ansatz verzichtet Nel aber auch auf eine detaillierte Ausdeutung der Personen, ordnet ihnen Eigenschaften, aber wenig persönliches Profil zu. So bleibt das Verhältnis der Geschwister untereinander völlig ohne Interpretation. Lediglich Chrysothemis werden Zwangsneurosen attestiert.
Und so bleibt es der Musik, für ein paar Gänsehauteffekte zu sorgen. Die tiefe Traurigkeit und Verzweiflung etwa bringt Chrysothemis zum Ausdruck, wenn sie singt: „immer sitzen wir auf der Stange wie angehängte Vögel, wenden links und rechts den Kopf und niemand kommt..“, oder wenn das Orchester den emotionalen Zusammenbruch Elektras nach der Nachricht über den vermeintlichen Tod des Orest in den Theatersaal fließen lässt. Das ist ein ebenso bezwingender Moment wie wenig später die funkelnde Freude darüber, dass Orest lebendig ist. Musikalisch also ist diese Elektra ein Saisonauftakt nach Maß für die Rheinoper. Axel Kober und seine Symphoniker malen Strauss’ Partitur in ihrer ganzen Klanggewalt, aber auch in ihrer Vielschichtigkeit. Da geht nichts verloren.
Gut aus dem breit aufgestellten Ensemble der Oper am Rhein sind die kleineren Rollen besetzt. Da kann das Haus aus dem Vollen schöpfen – was genauso gut für die Hauptakteure gilt: Linda Watson hat die Partie der Elektra voll im Griff und singt im besten Sinne mit Routine. Sie weiß genau, was sie kann, lässt ihre Stimme zur rechten Zeit voll aufblühen und ist sowohl die zutiefst einsame Verzweifelte als auch eifernde Rachefurie. Morenike Fadayomi hat eigentlich die richtige Stimme für die Rolle der Chrysothemis und glänzt mit müheloser Höhe und nuanciertem Singen. Lediglich in der tiefen Lage fehlt es etwas an Kraft. Die bietet Renée Morloc für die Klytämnestra auf und zeichnet das Bild einer stolzen Frau, die nun aber von Selbstzweifeln geplagt wird. War es richtig, den Sohn den eigenen Plänen zu opfern? Den Orest gibt Hans-Peter König einfach meisterlich mit klarer Diktion und großer Bühnenpräsenz. Sicher ebenfalls eine optimale Besetzung Wolfgang Schmidt als dauergeiler, mägdevernaschender Aegisth. Bestens in Form auch der Chor der Rheinoper.
Diese Elektra zeigt deutlich die Menschheitskonflikte auf, wer sich emotional mitnehmen lassen möchte, dem wird hier etwas fehlen.