Triumph in Schwarz-Weiß
Alle Kraft geht vom Pulte aus. Da steht Will Humburg, unsichtbar bis auf die dirigierenden Hände, im tiefen Orchestergraben der „Oper am Dom“. Er beruhigt und befeuert die anfangs teilweise sehr unsicheren Sänger. Er führt den Chor zu selten engagierter, intensiver und differenzierter Gestaltung mit viel sauberem Piano-Gesang. Schon die Ouvertüre wird zum besonderen Erlebnis. Humburg formt eigenständig, setzt schroffes Blech unvermittelt gegen den weichen Streicherteppich, stellt fein leise Stellen aus, wechselt das Tempo abrupt, aber stets organisch, verteidigt Verdis Musik so vehement gegen die traditionellen Vorwürfe der symphonischen Anspruchslosigkeit und disparaten Dramaturgie. Das Gürzenich-Orchester folgt mit großer Begeisterung. Die frischen und delikaten Holzbläser erfreuen besonders.
Die guten akustischen Eigenschaften – durch Verwendung gesangsfreundlicher Materialien und Abschlusses der Bühne nach hinten – des Bühnenbilds von Pierre-Andre Weitz ermöglichen Humburg die Herstellung eines klaren, warmen Klangbildes, das die Sänger nie zudeckt. Man darf das, bei den akustischen Gegebenheiten des blauen Zeltes, durchaus als Wunder bezeichnen.
Weitz hat eine schwarze Treppe in die gewaltige Bühne hineingebaut. Dahinter rotiert eine Art Karussell. In unterschiedlichem Tempo ziehen Ruinen, alle möglichen Architekturfragmente, gotische Spitzbögen und Wachtürme vorbei, die teilweise auch bespielt werden. Am Horizont drohen Kreuze, Strommasten und ein Gewitterhimmel. Alles ist in Schwarzweiß gehalten, „aufgelockert“ nur durch das Rot des Krieges. Hiermit korrespondieren die lässig stilisierten, (bewusst?) nah am Kitsch angesiedelten Kostüme. Der französische Regisseur Olivier Py organisiert das Spiel mit bemerkenswerter Beherrschung der theatralischen Mittel brillant in Bühnen- und Zuschauerraum, der des Öfteren von Chorgruppen durchquert wird. In den Duetten gelingen sowohl Momente intensiven absurden Theaters als auch großer Innigkeit. Die ungewöhnliche Dramaturgie des Stückes – einer intimen Rachetragödie stehen immer wieder ausufernde Genreszenen gegenüber – formt sich, trotz kleinerer Ausritte in Opernklischee und bloße Dekoration, wie von selber zum großen, melodramatisch überglänzten Welttheater über Glanz und Elend der menschlichen Existenz.
Vermischtes von den Sängern der Nebenrollen, denen in La Forza del Destino bekanntlich große Bedeutung zukommt. Leonard Bernad und Young Doo Park lassen in kleinen Rollen unerwartet schönes Bassmaterial hören. Ralf Rachbauer zeichnet, auch stimmlich, ein eigenwilliges und stimmiges Bild des Maultiertreibers Trabuco. Dirk Aleschus verfehlt, zumindest musikalisch, den Marchese von Calatrava recht deutlich. Dalia Schaechter spielt die Kriegstreiberin Preziosilla, die in der Inszenierung auch als solche hingerichtet wird, mit Verve und Präzision, scheint aber musikalisch in der Rolle nicht beheimatet zu sein. Patrick Carfizzi ist ein stimmlich und komödiantisch überwältigender Klosterbruder. Seinem Chef, dem Padre Guardiano, leiht Liang Li seinen balsamischen, stilkundig eingesetzten Prachtbass.
Alle drei Hauptdarsteller strahlen viel jugendliche Energie aus. Man nimmt ihnen die große, ja monströse Leidenschaft, der ihre Figuren unterworfen sind, unbedingt ab. Im Zentrum steht die Leonora von Adina Aaron, aktuell Kölner Publikumsliebling Nummer eins, ausgestattet mit einer fast perfekten Verdi-Stimme inklusive selten flutender Piani, die, nach etwas nervösem Beginn, die „Pace“-Arie im Schlussakt zum Ereignis werden lassen. Enrique Ferrer hat ein ungewöhnliches Timbre, eine etwas schmale Höhe und eine überdurchschnittliche Bühnenpräsenz, steigert sich nach der Pause erheblich, wird den großen Anforderungen der Tenorpartie Alvaro letztlich aber nur bedingt gerecht. Anthony Michaels-Moore hat leichte Probleme mit seiner großen Arie, schafft aber dennoch ein herausragendes Rollenporträt. Sein Carlos ist kein verblendeter Unmensch, sondern ein freundlicher, charmanter Elegant, vor Rachsucht innerlich zitternd wie von einer Krankheit.
Der außergewöhnliche Abend rehabilitiert nicht nur schlagend ein oft abqualifiziertes Repertoirewerk, sondern ist auch der denkbar beste Auftakt für Birgit Meyer, der mit Sicherheit eine sehr schwierige Intendanz bevorsteht.