Übrigens …

Tristan und Isolde im Stadttheater Minden

Wagner hautnah

Vor zehn Jahren fing alles an. Da feierte der Richard-Wagner-Verband Minden seinen 90. Geburtstag – und beschenkte sich und die Stadt mit einer von ihm selbst geplanten, organisierten und durchgeführten Operninszenierung: Der fliegende Holländer. Ein Ereignis, dessen riesiger Erfolg nicht ohne Auswirkungen blieb. Tannhäuser und Lohengrin kamen nämlich in den nachfolgenden Jahren auf die Bühne des Stadttheaters Minden, das aus technischer Sicht für große Oper eigentlich gar nicht genügend ausgestattet ist. Aber man kann aus der Not ja auch eine Tugend machen. Deshalb haben Wagners Opern in dem Mindener Haus mit seinen gut 450 Plätzen bislang bestens funktioniert.

Jetzt, zum 100. Geburtstag eben jenes Wagner-Verbandes der Domstadt an der Weser war selbstverständlich wieder eine Inszenierung fällig, wieder zugeschnitten auf die örtlichen Gegebenheiten. Tristan und Isolde! Womöglich ein Griff nach den Sternen, eine Nummer zu groß angesichts der Möglichkeiten? Ganz klar: Nein. Was sich da unter dem ziemlich engen Bühnenportal ereignet, ist wirklich eine Sensation. Die fängt schon an mit den ersten Tönen der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford unter Leitung von Frank Beermann. Ein unglaublich kultiviertes, klangsinnliches, in seinen unterschiedlichen Gruppen fein aufeinander abgestimmtes Orchester, wachsam, konzentriert und hoch motiviert von Anfang bis Ende. Und dann ein Solistenensemble, das sich in Minden mit vollem physischen und mentalen Einsatz in die höchst anspruchsvollen Aufgaben mit Haut und Haar hineinstürzt. Die Enge der Bühne nutzt Regisseur Matthias von Stegmann zur intensiven Ausleuchtung all der emotionalen Beziehungen, die Wagner in seinem Drama ausbreitet. Ihm reichen dazu die Handvoll Requisiten von Bühnen- und Kostümbildner Frank Philipp Schlößmann: zwei, drei kleine Boote, ein paar Seekisten, kaum mehr. Besonderen Tiefgang erfährt diese Inszenierung auch dank der subtilen Lichtführung, die Mariella von Vequel-Westernach entwickelt hat.

All diese Faktoren zusammen: Bühne, Licht, Orchesterklang und nicht zuletzt natürlich die Stimmen entwickeln eine Sogwirkung, wie sie intensiver kaum sein kann. Andreas Schager als ein im dritten Akt verzweifelt hoffender Tristan, der diese mörderische Partie mit bewundernswerter Kraft duchsteht; Dara Hobbs als Isolde mit betörenden Sopran- Klangfarben und einem wirklich ergreifenden „Liebestod“ – sie wirkt ungeheuer aufrichtig in allen ihren Emotionen, bleibt ihrer Rolle an unbedingter Glaubwürdigkeit nicht das Geringste schuldig; erstklassig Roman Trekel als in Ausdruck und Dynamik fein differenzierender Kurwenal, James Moellenhoff mit raumgreifendem Bass als König Marke, nicht zuletzt Ruth Maria Nicolay als durch und durch überzeugende Brangäne. Selbst die kleinen Rollen sind mit Thomas de Vries (Melot), André Riemer (Stimme eines jungen Seemanns/Hirt) und Sebastian Eger (Steuermann) sehr gut besetzt!

Hut ab vor Mindens Wagner-Verband. Mit diesem Tristan wirkt er hinein in die Stadt, in die ganze Region. Schulen beschäftigen sich seit Monaten mit dem Thema, sind aktiv an der Inszenierung beteiligt, junge Menschen kommen in Kontakt mit lebendigem Musiktheater, womöglich zum ersten Mal. Das ist bürgerschaftliches Engagement, dessen Wirkung weit über das bürgerliche Klientel hinaus reicht.