Il Barbiere di Siviglia im Theater Münster

Knallig und bunt

Ein Schönheitschirurg, der aussieht wie Silvio Berlusconi, ergo selbst sein bester Kunde ist und sich die Botox-Injektionen dutzendweise ins Gesicht sticht; dazu ein rosarot gekleideter Figaro und eine Rosina als Krankenschwester, farblich in feinstem Milka-Lila gehalten. Knallig und bunt ist er, der Rossini-Barbiere, den Aron Stiehl als erste Premiere der Intendanz von Ulrich Peters im Theater Münster präsentiert. Und knallig und bunt bleibt er bis zum Schluss. Stiehl zaubert einen Gag nach dem anderen auf die unaufhörlich sich bewegende Drehbühne, auf die Friedrich Eggert eine Mischung aus chirurgischer Praxis und Wohlfühltempel stellt.

Alle diese Gags sind lustig, die meisten von ihnen oberflächlich - und oft wird schlicht der Holzhammer herausgeholt. Rossini als Boulevardkomödie. Ein Hund sitzt bei Figaro im Salon und gönnt sich eine Schur. Später übt sich Doktor Bartolo in Sachen Amputation. Ob das Anschmieden falscher Körperglieder wirklich so komisch ist, sei dahin gestellt, aber immer mal wieder gibt es was zu lachen. Stiehl, der voll auf Action setzt, gelingt es, sich so die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern und die Geschichte rund um den Bunga-Bunga-Kaiser Bartolo-Berlusconi im Fluss zu halten. Das ist immerhin etwas – gerade im (Musik-)Theater Münster, wo in den letzten Jahren eher Langeweile herrschte, ob in Oper oder Operette. Doch Stiehls Inszenierung leidet, je länger man ihr zusieht, unter dem Symptom dauernder Wiederholungen. Der leichte Grusel vor brutal großen Spritzen wirkt eben nur einmal...

Und ein wenig befremdet ist man doch, wenn Rosina zu ihrer großen Arie, in der sie vom Kampf um ihre Liebe singt, Busen auf- und Fettpolster abpumpt, dazu eine gigantische Turbomaschine in Bewegung setzt. Das will nicht recht passen.

Stiehl liefert – bei aller Plakativität – eine handwerklich gute Arbeit, aber auch er muss erkennen, wie schwer Rossini ist. Da geht es um subtile Feinheiten, einen eher bissigen Blick auf und in die Gesellschaft, unterschwellige und/oder ganz deutliche Kritik. Davon ist in Stiehls Inszenierung allerdings nichts Bedeutungsvolles zu sehen.

Handwerklich gut, dies Prädikat gilt auch für den Opernchor und das Solisten-Ensemble: Insgesamt bietet es eine solide Leistung und ist in sich ausgeglichen. Was dennoch fehlt sind die für Rossini so typischen brillant vorgetragenen, vor allem gestochen scharf ausgeführten Koloraturen. Die gelingen am ehesten und überzeugendsten Lisa Wedekind als Rosina mit ihrem schönen, runden Mezzosopran. Intonationssicher und klangschön gibt Youn-Seong Shim den Grafen, raumgreifend Lukas Schmid den Don Basilio. Seine Mini-Rolle als Fiorello füllt Fritz Steinbacher als André Rieu-Verschnitt ganz prima. Routiniert, aber mit unbändiger Spielfreude agieren Plamen Hidjov als Bartolo und Stefanie Smits als Berta. Juan Fernando Gutiérrez singt die Titelpartie - mit schön timbriertem Bariton, doch ohne wirkliche Durchschlagskraft dort, wo er in Konkurrenz zum Orchester-Forte zu treten hat. Das kam nicht allzu oft vor, weil GMD Fabrizio Ventura das Sinfonieorchester Münster stets in sehr sängerfreundlicher Lautstärke hielt. Kleine Unstimmigkeiten gab es in der Ouvertüre, auch mal hier und da, wo es galt, das Presto parlando auf der Bühne mit dem Orchestergraben übereinander zu bekommen. Insgesamt empfiehlt Ventura sich als Dirigent, der auf Genauigkeit, Farbigkeit und große Vitalität Wert legte und dies auch umzusetzen weiß.

Das Premierenpublikum in Münsters war vollauf begeistert. Um dem Musiktheater neuen Schwung zu geben, womöglich sogar neues überregionales Interesse zu evozieren – dazu wird Aron Stiehls Rossini-Deutung erst einmal nicht reichen. Warten wir auf das, was noch kommt. Die Spielzeit fängt ja gerade erst an.