Übrigens …

Everyday im Bochum, Jahrhunderthalle

Wieviel Bilder passen in eine Stunde?

Christian Marclay muss ein Elefantengedächtnis haben. Oder ein erstaunlich gut organisiertes Filmarchiv. Anders lassen sich seine erstaunlichen Film-Compilations nicht erklären. Mit dem 24-stündigen Werk The Clock gewann der Multimedia-Künstler 2011 in Venedig bei der Biennale den Goldenen Löwen für das beste Kunstwerk . Es zeigt zig Filmschnipsel, in denen eine Uhr vorkommt. Der Trick: Der Film läuft in Echtzeit ab. Wenn es also im Film 13.45 schlägt, zeigen auch die Uhren der Zuschauer 13.45 Uhr an.

Auch bei der Performance Everyday, die jetzt bei der Ruhrtriennale ihre Deutschlandpremiere feierte, steht ein Film im Mittelpunkt, wenn gleich er mit etwa 55 Minuten weitaus kürzer ist. Die Faszination ist aber die gleiche. Es ist erstaunlich, überraschend, frappierend, wie Christian Marclay kürzeste Filmsequenzen so furios hintereinander schneidet, dass sie zusammen passen – und zwischendurch durchaus ein Eigenleben und so etwas wie eine Geschichte entwickeln. Everyday beginnt mit diversen Türklopf- und Klingel-Szenen und endet mit einer sich schließenden Tür. Dazwischen passiert von Stille bis zum ohrenbetäubenden Lärmen zahlreicher Schiffs-Sirenen unfassbar viel. Der Höhepunkt indes ist eine rauschende Tanzszene, die sich aus unzähligen Tanz-Szenen der Filmgeschichte zusammensetzt.

Im Unterschied zu The Clock arbeit Marclay in Everday zusätzlich mit vier Musikern, die live zu den Clips improvisieren, was die Performance noch eindrucksvoller macht. Der Charakter der Soundcollage schwankt: Mal scheint sie das Filmgeschehen zu kommentieren, mal frei zu interpretieren. Dass Marclay zu einer Sequenz mit Marching-Bands eine leibhaftige Bergmannskapelle, die Bergkapelle Niederrhein e.V., durch die Jahrhunderthalle marschieren und parallel zu den Jazz-Improvisationen „Glück auf!“ spielen lässt, war ein 3D-Gag, der in diesem Fall tatsächlich gelungen war und nicht – wie so oft, wenn die Hochkultur auf regionale Verbundenheit setzt – peinlich ausfiel.

Everyday lebt nicht nur von der Meisterschaft des Filmschnitts, die sich in ebensolcher Meisterschaft im musikalischen Zusammenspiel spiegelt. Die Performance lebt auch – und vor allem – von der Leichtigkeit und der Unaufdringlichkeit, mit der Christian Marclay und seine Mitspieler sie präsentieren. Und mit der sie für den Zuschauer quasi nebenbei und spielerisch die Grenzen zwischen Film, Videoinstallation, Konzert und Theater aufheben.