Übrigens …

When the mountain changed its clothing im Bochum, Jahrhunderthalle

Wenn Mädchen träumen

Langsam schreiten, nein schlurfen die Mädchen in den Raum. Nehmen offenbar nicht wahr, dass Stühle herumliegen, schieben sie weg mit den Füßen, wie in Trance. Manche halten die Hände vor Augen, und immer ruft eine Stimme: „Alles wird gut“. Es ist ein fast religiös anmutendes Ritual. Doch ach, was soll es nur bedeuten?

Die Frage nach dem Sinn bestimmter Episoden, in denen einzelne der Mädchen gewichtige Sentenzen so altklug wie unschuldig aufsagen, Worte über Leben und Sterben, Reichtum und Armut oder Wahrheit und Lüge, stellt sich von Mal zu Mal an diesem Abend in der Bochumer Jahrhunderthalle. Sie ist Schauplatz der Uraufführung einer Befindlichkeits- und Reflexionsperformance namens When the mountain changed its clothing, die Triennale-Chef Heiner Goebbels komponiert und inszeniert hat. In einem Schulklassenambiente, das sich Klaus Grünberg erdacht hat. Mit Texten unter anderem von Rousseau, Eichendorff und Gertrude Stein.

Die Mädchen, die hier auf kitschig künstlich grüner Wiese, drapiert mit niedlichen Stofftieren, roboterhaft reden und Antworten geben, als würden sie examiniert, pflegen indes nicht nur die Form des provozierend kühlen Sprechens. Genauso wenig wie sie, weißblonde Einheitsperücke auf dem Kopf, an ihren Pulten nur gelangweilt rhythmische Bewegungsrituale vollziehen. Denn die jungen Damen im Alter von zehn bis zwanzig Jahren bilden das „Vocal Theatre Carmina Slovenica“, das seine Heimat in Maribor hat und von Karmina Silec geleitet wird. Und zu all den eigentümlichen, ritualisierten Artikulations- und Bewegungsstudien gesellt sich meisterhafter, betörender Gesang, vornehmlich slowenisches Liedgut und Weltmusik. Oft untermalt von Goebbels’ elektronischen Zuspielungen – Liegetöne, Geräusche, Perkussives.

Der Chor singt fantastisch, bei blitzblanker Intonation, konzentrierter Stimmführung, rhythmischer Perfektion, dynamischer Gestaltungskraft, sowie Farb- und Obertonreichtum. Doch es geht in diesem Stück nicht um permanente akustische Schmeichelei, vielmehr entpuppt es sich als krudes, arg verrätseltes Theater, das ohne lineares Erzählen auskommt. Abgesehen davon, dass nette Bildchen auf einer Leinwand vom Wechsel der Jahreszeiten zeugen – eben Wenn der Berg seine Kleidung wechselt.

Vielleicht liegt der Reiz dieser Produktion aber gerade im Geheimnis. Im nicht Gesagten, aber unterschwellig Befürchteten. Wenn es idyllisch nach Brahms klingt, Goebbels’ Klänge indes als bedrohliche Grundierung wirken. Oder muntere Vogelstimmen aus dem Off zwitschern, während ein Mädchen mangelnde Mutterliebe beklagt. So scheint die Verstörung des Publikums wichtiger als dessen Erbauung. Weil die zunächst tastenden, dann geschäftig wuselnden oder rhythmisch strengen Bewegungsabläufe offenbar einer schwer zu entschlüsselnden Choreographie unterliegen, die Florian Bilbao verantwortet. Und weil Komponist und Regisseur Goebbels den unheimlichen Satz seiner 1995 entstandenen Produktion Die Wiederholung als Anknüpfungspunkt wählt: „Wovon träumen die jungen Mädchen? Vom Messer und vom Blut“.

Doch keine Angst. Ein Gemetzel wird’s nicht geben. Und am Ende ist der Jubel groß. Für den von Karmina Silec geleiteten Chor aus Maribor. Wie gesagt: Dieser Gesang ist fantastisch.