Samiel everywhere
Den Blick auf die Bühne versperrt ein riesiger Lattenrost, welcher sofort eine Atmosphäre von Eingeschlossensein suggeriert. Dagegen vermag Florian Frannek mit dem Sinfonieorchester Wuppertal während der Freischütz-Ouvertüre erst einmal anzuspielen: warmer Klang, romantischer Jubelton, pointierter Dunkel-Kontrast, interessante Crescendo-Dramaturgie. Dann werden hinter den Zaunlücken Solisten und Chor sichtbar, und diese Personenmassierung wird in den meisten Szenen beibehalten. Lattenwände gibt es auch als Szenenbegrenzung. In diesem „Gefängnis“ wird eine Dorfgemeinschaft vorgeführt, die sich nicht aus dem Wege zu gehen vermag, die alles beäugt, was in ihrer Mitte und drumherum passiert. Gefühle eskalieren: da ist zum einen sozialer Neid verbunden mit rachsüchtigem Stolz und ostentativer Geilheit (Kilian), da ist weiterhin das Festhalten an überholten Traditionen (Probeschuss), da ist last not least eine gefährdete Liebe. Regisseurin Andrea Schwalbach lässt Agathe von Anfang an zerrissen erscheinen, andererseits auch lebenslustig und wehrhaft. Ist sie Max wirklich unverbrüchlich zugetan? Wenn im Schlussbild Kaspar von dessen Kugel getroffen wird, wirft sie sich über den Sterbenden. Ganz am Schluss, vor dem „happy end“, quillt Blut aus ihrem Mund, erzählerischer Rückgriff auf die Volkssage, wie sie von Apel/Laun niedergeschrieben wurde.
Maitre de „plaisir“ ist Samiel, in Wuppertal kein „schwarzer Jäger“, sondern ein bieder aussehender Mann mit Aktentasche, der er sein Frühstück entnimmt und vor der musikalischen Introduktion die Story vom Probeschuss und der Freikugel erzählt. Doch dann werden bei Marco Wohlwend verstärkt teuflische Konturen deutlich, beginnend mit dem Vampir-Kuss, mit dem er Kilian ins Jenseits befördert. Schon hier fragt man sich freilich: was soll’s? Andrea Schwalbach hat offenbar viel gelesen, viel nachgedacht und möchte viel erzählen, viel zu viel. Etliche Szenen werden dabei auch schon mal gegen ihren ursprünglichen Sinn gekehrt, wenn beispielsweise Ännchen ihre Ballade vom Kettenhund an Samiel richtet.
Immerhin glaubt man einen roten Faden zu erkennen. Die Regisseurin beschreibt ein allseits freudloses Leben, welches von Ängsten, Trieben, Neid und Gewalt (Aufstand der Frauen gegenüber Ottokar) beherrscht wird. Samiel hält die Menschen am Zügel, treibt sein Handwerk in der Wolfsschlucht auf die blutige Spitze. Ein armer Mensch wird geblendet. Er ist, wie sich zuletzt herausstellt, der Eremit, dessen Autorität somit von vorneherein nichts gilt. Als Andeutungen, Infragestellungen en detail könnte man das alles akzeptieren, wohl auch goutieren. Aber Andrea Schwalbach bläht ihre Ideen ins Unendliche auf, und Symbollogik ist nicht immer erkennbar. Auch nicht bei den Kostümen, die Ausstatterin Nanette Zimmermann in den fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verankert. Max trägt übrigens Frack.
Niclas Oettermann singt ihn mit festem, höhensicheren Tenor, John In Eichen setzt für den Kaspar einen Saft-und-Kraft-Bass ein; um Spitzentöne kämpft er ein wenig. Das gilt auch für Banu Böke, die als Agathe lyrisch ohnehin nicht ganz entspannt wirkt. Aber sie wirft sich sympathisch engagiert auf den ihr zugewiesenen Rollentyp. Auch Dorothea Brandt scheut sich nicht vor dem ungewöhnlichen Profil des heißspornigen Ännchens und singt agil wie immer. Schließlich ist noch der ewig junge Thomas Laske als Ottokar zu nennen, ein stets intelligenter Sängerdarsteller, der Wuppertal noch immer die Treue hält. Olaf Haye (Kuno) wirkt einigermaßen abgesungen, Boris Leisenheimer (Kilian) macht mit seinem enghalsigen Tenor selten Freude, Martin Js. Ohu (Eremit) muss mit seiner Stimme noch umzugehen lernen. Einen hervorragenden Eindruck hinterlässt der Chor.