Übrigens …

Carmen im Aachen, Theater

Mit mäßigem Erfolg

Für die erste Premiere unter dem neuen Chefdirigenten Kazem Abdullah hatte man auf Nummer sicher gehen wollen. Bizets Carmen ist ein Klassiker, eine der meistgespielten Opern, mit vielen Ohrwürmern, ein Zugpferd auch für weniger erfahrene Opernbesucher.

Abdullah legt sich auch mächtig ins Zeug, das Orchester war bestens aufgelegt, es folgte ihm bereitwillig, man vernahm präzise Bläser, saubere Einsätze, cremige Geigen, Dramatik, einfach tollen Sound. Nur - die Ouvertüre viel zu schnell, alles sehr laut, zum Teil die Sänger überdeckend, die forcieren mussten, um gehört zu werden. Eigentlich ist die Carmen eine Oper der eleganten Leichtfüßigkeit. Aber sei´s drum - spürbar war eine gute Harmonie und Synchronisation zwischen dem Chef und seinen Musikern; Abdullah dürfte eine gute Wahl gewesen sein, man darf weiteren Produktionen gespannt entgegensehen.

Der Regisseur Michael Helle, der im Hause jüngst einen viel beachteten Figaro auf die Bühne gebracht hatte, versuchte sich erneut mit einer ausstattungsarmen Inszenierung, ganz ohne spanische Folklore und Kastagnetten, ohne Aufmarsch von Toreros und Tänzerinnen. Das macht ja auch Sinn und wird häufig praktiziert, um menschliche Beziehungen, Leidenschaften, Handlungsstränge und seelischen Abgründe unbeeinflusst von Kostümwust und Unnützem darzustellen. Eine gute Oper verträgt locker die Transposition in eine andere Zeit oder Umgebung, sie verträgt halt auch eine Entschlackung. Auch bezüglich der Kostüme (Renate Schwietert): die Arbeiterinnen im grauen Kittel, der Rest mehr oder weniger in Straßenkleidung, der Torero lediglich im weißen Jackett, Carmen in sehr sexy knappen schwarzen Dessous, später dann im eleganten schwarzen Abendkleid. Nichts Spanisches.

So war es in Aachen gedacht, leider aber nur mit mäßigem Erfolg. Die Bühne (Hartmut Schörghofer) stellt eine Art Lagerhalle mit ein paar Säulen dar, im Hintergrund ein rotes Rolltor als Eingang in die Zigarettenfabrik. Eine Theke und ein paar Plastikstühle sorgten für Kneipenatmosphäre, die Schmugglerhöhle war bis auf Schlafunterlagen leer, die Arena markierte das Bild eines Stierkopfes im Hintergrund. Sonst nichts. Das kann funktionieren, wenn die handelnden Personen intensiv geführt werden; daran hapert es leider etwas. Es gab überwiegend wenig Bewegung, man stand herum, etliche große Arien wurden im Sitzen gesungen, was nicht nur die Adaptation durch das Publikum und damit die Stimmung erschwerte, sondern auch die Sänger hörbar bremste.

Auch der Chor, stimmstark und sehr sauber singend (Andreas Klippert), bewegte sich unglücklich auf der Bühne; man kam, sang, drehte sich um und ging wieder. Sehr eindrucksvoll allerdings der große Auftritt im vierten Akt: In Abendgarderobe und im Dreieck frontal zum Publikum, das gab Rückenschauer und Gänsehaut gleichzeitig.

Dazu kam, dass die Dialoge deutsch gesprochen wurden. Das ist durchaus legitim, allerdings verdrießlich, wenn die vielen ausländischen Sänger mit sehr hartem Akzent sprechen; ein unangenehmer Kontrast zu den schwungvollen französischen Gesangslinien. Ein rechtes Opernglück wollte daher nicht richtig aufkommen, was man auch an dem kaum vorhandenen Zwischenapplaus merkte.

In Sachen Musik und Sänger ist durchaus Ordentliches zu vermelden. Carmen (Sanja Radisic) war eine blutvolle Heldin mit Wucht und ausdrucksstarkem Mezzo, sie blühte gesanglich auf, wenn sie sich schauspielerisch ausleben durfte. Was ihr auch überzeugend gelang: eine erotische Verführerin und eine ebenso selbstbewusste junge Frau, die sich von José nicht gegen ihren Willen binden lassen will. Die von der Regie verordneten bewegungsarmen Phasen schlugen sich allerdings auch auf eine reduzierte, deutlich bravere Stimme nieder. Micaela (Katharina Hagopian) war die ganz Liebe, fast Unerotische, mit engem Rock, Brille und flachen Schuhen, auch sie Anfangs stimmlich sehr verhalten. Erst im letzten Akt konnte die Sängerin ihre Qualität eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Jon Ketilsson als Don José glänzte mit einer sicheren, gelegentlich etwas forcierten Höhe, wirkte darstellerisch allerdings ein wenig grob und tapsig; zu loben ist ein gefühlvoller Ensemblegesang mit Carmen. Escamillo (Sam Handley) ist nicht der Macho, wie es die Rolle fordert, klein und fast bescheiden, punktete er allerdings mit Wohllaut und angenehmem Timbre.

Sehr viel und teilweise stehender Applaus zum Schluss: Das Publikum im vollen Hause war´s sehr zufrieden.